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Tobias Holtkamp: „Dampfer haben es schwer gegen Schnellboote“

Über eine Dekade lang hat Tobias Holtmann Print-Journalismus gemacht. Seit 2014 verantwortet er als Chefredakteur Springers Online-Portal Transfermarkt.de. Ein Gespräch über die Vorzüge des Digitalen, Paywalls und Twitter als Tool für Sportjournalisten.

Die Transfermarkt.de-Redaktion liegt etwas versteckt – zweite Reihe, unauffälliges Gebäude, Hamburg-Wandsbek. Stolz führt Tobias Holtkamp durch die Räume. Seit 15 Jahren arbeitet Holtkamp für Axel Springer. Nach langer Tätigkeit im Print wurde er Anfang 2014 ein Onliner – als Chefredakteur von Springer-Tochter Transfermarkt.de. Das Fußball-Portal ist eine der größten Spielerdatenbanken der Welt. Weltweite Informationen über Fußballer, Vereine und Ligen sind gespeichert. Unter Holtkamps Leitung soll die Seite jetzt noch mehr journalistische Inhalte anbieten. In einer Sesselecke, wo normalerweise die Fußballprominenz Platz nimmt, erzählt Holtkamp von der MS Print, Twitter und Bezahlsystemen.

VOCER: Herr Holtkamp, Haben Sie das sinkende Schiff verlassen, als Sie vom Print zu Online gewechselt haben?

Die MS Print ist kein sinkendes Schiff. Ich denke, sie wirft an den richtigen Stellen zurzeit unnötigen Ballast ab. Das wird ihr gut tun und garantiert weitere spannende Fahrten. Einige Kapitäne machen das klasse, andere fahren weiter wie vor zehn Jahren, wirken behäbig und nicht bereit, etwas zu ändern. Dabei ist jetzt Abenteuerlust gefragt. Es ist doch so: Große, unflexible Dampfer haben es schwer gegen Schnellboote, von denen es immer mehr gibt und die mittlerweile vieles auch echt gut können. War das das Bild, das Sie wollten?

Sie haben es gut fortgeführt. Sie waren lange bei Print, haben sich damit auch identifiziert – und jetzt sind Sie Onliner. Sehen Sie sich auch als eine Art Sinnbild?

Als Sinnbild sehe ich mich überhaupt nicht. Ich habe auch überhaupt keine Entscheidung taktisch getroffen, weil ich dachte, dieser oder jene Weg wäre klüger. Ich bin im Grunde immer mehr dem Bauch gefolgt als dem Kopf. Wenn ich spüre, dass mich etwas sehr als Herausforderung oder spannende Aufgabe reizt, dann versuche ich auch den Schritt in die Richtung zu machen. Ich mag diese neuen Gebiete, die quasi vor dir liegen und auf denen du bauen kannst. Die hast du natürlich im Printbereich nicht ganz so extrem, da sind sehr viele Erfahrungen schon gemacht worden, da gab es schon zig Verantwortliche vor dir, die gewisse Dinge so oder so gemacht haben. Verborgte Abläufe aufzubrechen ist mühsam und kostet viel Zeit, eigentlich schade, denn danach geht vieles oft besser, schneller, freier. Im digitalen Bereich lässt sich aktuell mehr ausprobieren, das macht mir Spaß. Da ist wirklich sehr wenig Kalkül dabei. Vielleicht ist es ja auch eines Tages wieder anders und es gibt eine innovative Magazin-Idee. Irgendwann ist mir mal das Wort Printernet rausgerutscht, unbewusst, aber seitdem denke ich darauf rum, wie das aussehen könnte.

Mussten Sie lange überlegen, als das Angebot von Transfermarkt kam? Oder war es einfach eine Bauchentscheidung?

Als es nach den ersten lockeren Gesprächen konkreter wurde und ich mich ernsthaft damit auseinandersetzte, denn bis dato kannte ich Transfermarkt auch nur als User und Fußball-Fan, habe ich mich mit mir wichtigen Ratgebern unterhalten und bin etwas tiefer in das Projekt eingetaucht. Und dann war mir sehr schnell klar, dass das eine irre spannende Aufgabe ist, die ich gerne annehmen möchte.

Bei Ihrem Werdegang könnte man meinen, Sie seien ein Aushängeschild von Springer. Hat man nach der Beteiligung Springers an Transfermarkt.de vielleicht durch Ihre Person versucht, eine Springer-Instanz in der neuen Redaktion zu implementieren?

Nein. Auch wenn die Idee dann bei vielen Leuten gut an kam, sie kam nicht von Axel Springer. Es gab oder gibt da auch absolut keinen Plan, jetzt macht er das und danach macht er das. Trotzdem gibt es doch nichts Schöneres, als wenn Axel Springer sehr zufrieden ist mit der Entwicklung einer Marke oder einer GmbH, an der sie mehrheitlich beteiligt sind. Anders: Natürlich freut es eine Mutter, wenn ihre Tochter nicht nur gut aussieht, sondern auch halbwegs gerade und schnell laufen kann. Und dafür hat Geschäftsführer Matthias Seidel mit einem extrem herzblutigen Team in den letzten Jahren eindrucksvoll gesorgt.

Als Onliner kommen Sie ja auch an Twitter kaum vorbei. Wieso Twitter und was hat es mit Ihrem Namen @rune4 auf sich?

Ich brauchte damals halt schnell einen Usernamen, kennt ja jeder. Die liebe Ayla Mayer, bei Twitter @santapauli1980, die zu der Zeit in meinem Team im Bild-Sport arbeitete, meinte, ich solle mich da mal anmelden. Das käme aus Amerika und würde auch hier bald groß. Muss 2009 gewesen sein. Dann habe ich mir das angeguckt und fand es super. Und Ayla saß daneben und ich habe mir einen Namen überlegt. Rune Bratseth ist einer meiner Lieblingsspieler bei Werder Bremen und hat früher immer die 4 getragen.

Und wenn man Ihr Profil näher betrachtet, sieht man, dass Sie Kritik an Axel Springer sehr nüchtern abwehren. Sehen Sie sich als Verfechter von Springer?

Was heißt „Verfechter von Springer“? Ich halte Axel Springer für einen extrem fortschrittlichen, hochmodernen und aufgeschlossenen Medienkonzern. Viele andere wären gerne nur halb so weit.

Gibt es Druck, gewisse Dinge so oder so zu sehen und zu entscheiden?

Nein, nicht im Ansatz. Ich hätte bei Sport Bild nie anders kommentiert als ich das jetzt z.B. bei Transfermarkt mache. Authentizität ist ein sehr hohes Gut in den Medien. Der eine lebt sie mehr, der andere vielleicht nicht so sehr. Aber die Leser oder User haben eine sehr feine Nase und spüren genau, was du meinst, ob du dahinter stehst, ob du das argumentieren kannst, ob das glaubhaft ist, wie du das argumentierst. Leser oder User haben ja auch eine klare Meinung und beschäftigen sich mit gewissen Themen von ihrem Verein vielleicht noch mehr, als es der Reporter oder Redakteur einer Zeitung macht. Das darf man nie vergessen. Die Leute sind nicht blöd, Gott sei Dank.

Sie glauben, dass die Meinung der Fans auch neue Anreize geben kann?

Natürlich. Fans stecken auch in sehr vielen Abläufen und Entwicklungen ihres Klubs so sehr drin, dass ihre Meinung nicht nur absolut berechtigt ist, sondern auch gehört werden sollte. So trete ich eigentlich jedem Leser gegenüber. Und die Meinung von Fußballfans ist bei Transfermarkt Elixier. Unsere Community ist großartig, so etwas habe ich nirgendwo gesehen. Wir leben das auch, holen uns immer wieder Meinungen zu kleinen und großen Themen, lassen unsere wichtigsten User viele, auch relevante Entscheidungen selber treffen. Wir würden einen sehr dummen und unverzeihlichen Fehler machen, wenn wir die Meinung der Fußballfans bzw. Transfermarkt-User nicht sehr ernst nehmen und einen ständigen Dialog mit ihnen ausschlagen würden.

Welchen Vorteil bietet denn Twitter noch für Sportjournalisten?

Ich glaube, es geht nicht um Vernetzung mit der breiten Masse. Da bin ich auch mittlerweile skeptisch, ob es den nächsten Schritt in Deutschland noch machen wird.

Inwiefern breite Masse? Dass es noch deutlich größer wird?

Ja, dass es halt so groß wird, dass du dir wirklich ein Meinungsbild holen kannst, das auch in irgendeiner Form stellvertretend für eine Gruppe wäre. Twitter ist zu großen Teilen halt ein Branchending in Deutschland. Klar, untereinander bist du da sehr gut vernetzt. Es gibt auch viele Fans von verschiedenen Vereinen, die da sehr viel unterwegs sind. Aber ich sage gerne, die große Fankurve ist immer noch eher Facebook. Das ist Masse. Und Twitter sehe ich eher, wenn du beim Bild des Stadions bleibst, als eine Art Medienbereich. Insofern macht es schon Sinn, da gewisse Themen unterzubringen und auch ein Ohr zu haben. Das ist absolut von Vorteil. Aber das deutsche Twitter ist und wird, schon wegen der Sprache, zu großen Teilen in der Nische bleiben. Meine Eltern oder sehr viele Freunde von mir, die werde ich nicht über Twitter erreichen.

Aber über andere Kanäle erreicht man die breite Masse online sehr schnell. Wie finden Sie es, dass heute aber auch jeder sehr leicht publizieren kann?

Das finde ich großartig. Die Möglichkeiten hat im Grunde ja jeder, der ernsthaft rangeht und etwas publizieren will. Jeder Blogger kann ein kleines Medienunternehmen sein. Früher hatten nur die den Vorteil, die eine teure Druckerei besaßen und einen guten Vertrieb. Das brauchtest du alles, um etwas unter das Volk zu bringen. Heute ist dazu jeder in der Lage, der Lust und Ideen hat. Ob der Link zum ersten Interview mit Uli Hoeneß, wenn er wieder ein freier Mann ist, zu einem Studenten-Blog geht oder zu Spiegel, Bild oder FAZ – völlig egal. Er ist in wenigen Minuten bekannt und wird zigfach geteilt.

Ist aber nicht genau das die Gefahr? Selbst wenn alle großen Medienseiten Bezahlsysteme einrichten, dann könnte der Konsument aber trotzdem von solchen kleinen Blogs weiterhin kostenlose Nachrichten generieren.

Wenn ein Kleiner besser ist als ein Großer, verdient er jeden Erfolg.

Sie müssten ja nicht einmal besser sein, sie sind kostenlos.

Auf Dauer wird sich der qualitativ Bessere durchsetzen, nicht der Größere oder Kleinere. Und wenn das XL-Medienportal besser informiert, dann darf es dafür natürlich auch Gebühren verlangen. Der Markt ist auf jeden Fall da, das zeigen nicht nur die guten Bild-Plus-Abo-Zahlen. Ich sorge mich überhaupt nicht, dass es in Zukunft keinen gut recherchierten Journalismus mehr geben wird – neben einer Menge Blendwerk, das nur darauf abzielt, kurzfristig viele Klicks zu generieren. Das Gute ist aber doch: die Auswahl liegt beim Benutzer, mehr denn je.

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