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Skizze für die Zeit nach ARD und ZDF

Angenommen, die bisherigen Rundfunkstaatsverträge wären Makulatur und die Zukunft der Angestellten der Öffentlich-Rechtlichen gesichert – wie könnte eine neu geschaffene öffentlich-rechtliche Internet & Medien Anstalt aussehen?

Angenommen, die bisherigen Rundfunkstaatsverträge wären Makulatur. Und über die Zukunft der 25.000 Angestellten der Öffentlich-Rechtlichen Rundfunkanstalten müssten wir uns keine Sorgen machen. Auch nicht um die Produktionsgesellschaften und andere Dienstleister, die sich um diese Wirtstiere scharen. Wie könnte in solch einem zugegeben utopischen Szenario nach Abwicklung von ARD, ZDF und Deutschlandfunk eine neu geschaffene öffentlich-rechtliche Internet & Medien Anstalt IMA aussehen?

Programm & Technologie

Kanäle und Programme in der Form gibt es nicht mehr. Sendeplätze sind im Internet nahezu unendlich viele vorhanden. Als zentraler Knotenpunkt dient eine IMAthek im Netz. Auf die können unterschiedlichste Geräte zugreifen. Für die Personen, die gerne fixe Programmabläufe konsumieren, sich „berieseln“ lassen wollen – ich gehe in dieser Skizze davon aus, dass dies eine Minderheit bzw. das Privatfernsehen weiter die Berieselung erledigt -, werden Playlists von Medieninhalten bereitgehalten. Die orientieren sich algorithmengestützt an klassischen Programmschemata oder gänzlich automatisch an den im eigenen Profil niedergelegten Vorlieben des Konsumenten – etwa lassen sich die ARD-classic-TV-Playlist oder die Achtziger-Neunziger-Audio-Playlist für NRW abonnieren.

Die IMA stützt sich also komplett auf das mächtigste aller Trägermedien: das world-wide-web; neben der IP-basierten Übertragungstechnologie eine weitere Infrastruktur für TV-Bilder bereitzustellen, ist ökonomisch unsinnig. Die so freigemachten finanziellen Mittel werden für den Ausbau der Internetinfrastruktur – vor allem in unterversorgen Gegenden – verwendet. Wer bisher noch keinen Internetanschluss hat, kann einen IMA-Zugang bekommen. Eine UKW-Radiogrundversorgung – automatisiert über Audio-Playlists – bleibt gewährleistet.

Weiterhin gibt es Live-Sendungen; alles, was nicht direkt übertragen wird, ist unmittelbar dann verfügbar, wenn es fertig produziert ist – und nicht wie heute erst Monate oder Jahre später, wenn es Programmplanern ins Schema passt. Zusätzlich sind neben den bereits verwendeten alle weiteren relevanten Text-, Daten-, Bild- und Audiomaterialien sinnvoll ausgezeichnet  über die IMAthek zugänglich: etwa Gesamtinterviews, zusätzliches Bildmaterial, Datenbanken, Dokumente (semantische Webstandards, Open Data).

Alles, was mit GEZ-Gelder produziert wird, steht unter freien Lizenzen (CC:by) und in gängigen Formaten unbefristet zum Download oder Streaming bereit. Denn öffentlich hat etwas mit „Open“ zu tun. Das jeweilige Urheberecht bleibt durch entsprechende Nutzungsvereinbarungen gewahrt. Für Inhalte, die aus dem Ausland lizenziert werden oder im Falle von Sportübertragungsrechten, werden entsprechende Vereinbarungen ausgehandelt und greifen ggf. extra Regeln.

Die IMAthek ist werbefrei. Sie ist so organisiert, dass hier auch Informationsangebote von Einzelpersonen, zivilgesellschaftlichen Gruppen, Kirchen, Gewerkschaften und Parteien Platz finden. Auch ist das Angebot auf eine nahtlose Integration mit dem gesamten Internet ausgelegt; so können die Inhalte beispielsweise mit Informationen und Daten über Themen, Politiker, Schauspieler, Journalisten, etc. angereichert werden.

Nutzer können Beiträge in der IMAthek kommentieren und diskutieren sowie sich in Livesendungen einschalten. Nicht zuletzt dafür ist der Ausbau potenter Schnittstellen (API) wichtig. Neben eigenen Apps für diverse (mobile) Endgeräte können so auch Dritte reibungslos Anwendungen entwickeln, die Inhalte verwenden und mit anderen Services verknüpfen.

Entscheidungen

Jedes Familienmitglied/jeder Mitbewohner (ab einem bestimmten Alter) eines GEZ-Haushalts bekommt einen eigenen IMA-Account. Über den regeln sie ihre Abonnements: Autoren, Formaten, Schauspielern, Korrespondenten, Themen, Regionen und Diskussionen können ge-„followed“ werden – integriert in bestehende soziale Netzwerke.

Ein reformiertes GEZ-Gebührenmodell bietet eine Opt-out-Option an, das heißt, jeder Haushalt kann sich dafür entscheiden, nur beschränkten Zugriff auf die Inhalts- und Informationsangebote der IMA zu haben und nicht an deren Mitbestimmungsprozessen teilhaben zu können.

Die monatlichen GEZ-Gebühren sinken deutlich, weil Parallelstrukturen abgebaut werden. Die Einnahmen und Ausgaben der IMA, Gehälter und Honorare sowie Verträge liegen für alle zugänglich so weitgehend offen wie es mit Datenschutzregelungen vereinbar ist – wenn möglich, als Open Data.

Über das eigene IMA-Konto kann an Mitbestimmungsprozessen teilgenommen werden. Grundlegende Entscheidungen der IMA kommen über ein Ratssystem zustande, das in Form eines Liquid-Democracy-Prozessen operiert (Stimmdelegation). Dieses Verfahren – das muss ja bei direkten Demokratieverfahren wohl immer betont werden – ist Menschenrechten, Grundgesetz, Datenschutz und Arbeiternehmerrechten usw. unterworfen.

Mehrheiten können im IMA-Rat per Liquid Democracy themen- oder Einzelfragen-abhängig organisiert werden. Entsprechende Fristen, Zyklen und Quoren sind zu finden, um beispielsweise das Zustandekommen und die Verbindlichkeitsdauer von Beschlüssen zu regeln. Themen, Personalfragen, Projekte etc. können Einzelpersonen, Interessengruppen, Parteien usw. einbringen; aber auch die IMA-Verwaltung und -Redaktion wirbt hier aktiv um Stimmen und Stimmdelegation. Stimmen von nicht aktiv teilnehmen IMA-Accounts werden über einen bestimmten Schlüssel verteilt.

Organisation & Redaktion

Die Geschäfsführung der IMA regelt eine schlanken professionelle Verwaltung, die vom IMA-Rat eingesetzt wird und diesem rechenschaftspflichtig ist; die Redaktion, ein Stab von professionellen Redakteuren, organisiert und produziert Livesendungen, diverse Bewegtbildformate, Hörbeiträge, Texte und interaktive Services.

Internationale, regionale und lokale Außenstelle sowie Sensorennetzwerke (für z.B. Umweltdaten) liefern Berichterstattung und Informationen zu. Nachrichtenteile werden fortlaufend produziert und immer wieder ergänzt, zusammengefasst und ausgespielt; etwa in Formaten der klassischen Nachrichtensendungen, aber auch über diverse thematische und regionale Streaming-Kanäle (Feeds). Moderatoren betreuen die Diskussionen der Nutzer aktiv und reichern sie mit Informationen und Positionen an.

Während ein Teil des Programms im Verantwortungsbereich der Redaktion liegt, wird der andere unmittelbar von den GEZ-Gebührenzahlern bestimmt; Methoden dafür sind Ideenmärkten (für oder gegen einen Vorschlag investieren) und Plattformen, in denen Konsumenten, Redakteure, Journalisten und Produktionsgesellschaften ihre Konzepte vorstellen und um Unterstützung werben. Also würde zum Beispiel hier die AG Dok ihre Dokumentarfilmreihe anpreisen.

Laufen könnte das wie bei Crowdfunding-Verfahren à la spot.us oder Kickstarter. Ein Teil des monatlichen Beitrags jedes Haushalts kann auf verschiedene Vorschläge oder zur Unterstützung von mittel- und langfristigen Projekten verteilt werden. Auch hier gilt: Nicht aktiv verteilte Gelder werden über einen vom IMA-Rat bestimmten Schlüssel verteilt.

Neben einer Technologieabteilung, Produktionsräumen und Studios, einem Gerätepool sowie einem Ausbildungsbereich pflegt die IMA auch einen Laborbereich, der eng verzahnt mit der Gesamtorganisation als Experimentierfeld und Innovationsmotor dient.

Der Weg dorthin

Wie eingangs schon erwähnt: Das Beschriebene ist utopisch, und für manche dürfte es wohl eher dystopisch klingen. Doch ist die Frage, wie unser öffentlich-rechtliches Mediensystem aussieht, eine politische. Die Schaffung der ARD und vor allem auch des ZDF später gingen politische Prozessen voraus. Weder das öffentlich-rechtliche System noch sind die Rundfunkänderungsstaatsverträge vom Himmel gefallen. Hier können grundlegende Veränderungen geschehen – wenn es den politischen Willen dazu gibt.

Die öffentlich-rechtlichen Apparate heute sind der Parteipolitik unterworfen und legen viele der Phänomene an den Tag, die große Institutionen mit sich bringen: Verkrustungen, Innovationsfaulheit, Änderungsverweigerung, Korruption und Intransparenz. Dazu lesenswert ist nach wie vor der lange Text von Jens Jessen in der „Zeit“ aus dem Jahr 2010: „Vom Volk bezahlte Verblödung – warum der öffentlich rechtliche Rundfunk nicht leistet, wofür er die Gebühren bekommt“.

Insofern wäre die ein Prozent der insgesamt 7.500 Millionen Euro GEZ Gebühren jährlich für den Aufbau einer Stiftung Internet, die mein Vereinskollege Markus Beckedahl fordert, ein erster Schritt. Mit diesen 75 Millionen Euro könnte eine Struktur aufgebaut werden, die transparent und von Mitbestimmung getragen, ein Modell entwickelt, wie ein öffentlich-rechtliches Medium sein könnte. Eins, das mündige Bürger und Gebührenzahler ernst nimmt. Und einer modernen Demokratie im digitalen Zeitalter inhaltlich, technologisch und verfahrensmäßig würdig ist.

(Korrektur am 4. Juni: disutopisch durch dystopisch ersetzt)


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