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Sebastian Esser: “Eine Crowd um sich versammeln”

Sebastian Esser hat mit Krautreporter die erste deutsche Plattform für Journalismus-Crowdfunding gestartet. Im Interview gibt er Tipps für erfolgreiche Kampagnen.

Seit über vier Jahren können amerikanische Journalisten bei Spot.us finanzielle Unterstützer für eigene Projekte suchen. In Deutschland sind erste journalistische Projekte wie berlinfolgen und Eine neue Version ist verfügbar über Startnext erfolgreich finanziert worden. Aber eine eigene Plattform für Journalismus-Crowdfunding gab es nicht. Bis jetzt. Gemeinsam mit Wendelin Hübner startet der Berliner Journalist Sebastian Esser die neue Plattform Krautreporter. Im Interview erklärt Esser, wie Journalisten seinen Dienst einsetzen können.


VOCER: Sebastian, was hat Dich bewogen, Krautreporter zu starten?

Sebastian Esser: Ich hatte als Medienjournalist keine Lust mehr auf die immer gleichen, trübsinnig machenden Diskussionen über die Zukunft des Journalismus und wollte lieber etwas unternehmen. Die Idee des Journalismus-Crowdfunding gibt es ja schon länger, siehe Spot.us. Crowdfunding ist etwas anderes als Spenden. Es ist eine Form von Vorfinanzierung, in diesem Fall für ein journalistisches Produkt, welches man beim Crowdfunding auch sehr bewusst als Produkt vermarkten muss. Es ist wichtig für das Selbstverständnis, dass man Journalismus als Geschäft wahrnimmt und nicht als Almosen. Es ist kein Verkaufen im klassischen Sinn, sondern eher ein Eintrittspreis zu einer Community, die sich nach einem Pitch um ein Thema, ein Projekt und einen Reporter spontan bildet.

Wie wichtig ist es, wenn bekannte Kollegen wie Dirk von Gehlen mit ihren Projekten erfolgreich sind, um Journalismus-Crowdfunding in Deutschland zu etablieren?

Ich glaube, es ist sehr wichtig, um zu verstehen, was Crowdfunding ist. Aber man bekommt dann natürlich als Einwand zu hören: „Ich habe aber keine Tausende von Twitter-Followern, ich kann die Community-Power nicht aufbringen.“ Dirk von Gehlen gilt ja in bestimmten Kreisen als Promi. Mit ihm können sich viele Journalisten nicht unbedingt so identifizieren wie mit jemandem, der nur 200 Follower hat.

Sebastian Esser, Journalist und Gründer von Krautreporter.de © Privat width=

Sebastian Esser, Journalist und Gründer von Krautreporter.de

Ist das die Zukunft des Journalismus?

Krautreporter ist ganz bestimmt nicht die Zukunft des Journalismus, aber es könnte ein kleiner Teil davon sein. Es könnte ein Ermöglicher sein. Journalisten können über Crowdfunding Projekte ausprobieren, die sich anders nicht finanzieren lassen. Wir hoffen auf abgefahrene Ideen und darauf, dass Projekte entstehen, aus denen sich Journalisten künftig ihr persönliches Geschäftmodell zusammenbasteln können.

Was ist die Spannbreite der Projekte bei Krautreporter? Was ist zum Start dabei?

Wir werden am Anfang mit sechs bis zehn Projekten starten. Wir haben einen 22jährigen Kollegen aus der Nähe von Darmstadt, Julian Heck, der sein hyperlokales Blog Weiterstadtnetz mit Hilfe der Crowd als Printmagazin drucken will. Eine andere Kollegin, Carmen Eckhardt, ist eine renommierte Dokumentarfilmerin. Sie schlägt ein Projekt vor namens Viktors Kopf, wobei Viktor ihr Urgroßvater ist, der in der Nazizeit als Widerstandskämpfer enthauptet wurde. Krasse Geschichte, super Thema. Dann haben wir noch einen Fotografen in Spanien, der eine Multimedia-Dokumentation über Auswirkungen der Proteste in Spanien machen will. Klaus Bardenhagen, freier Korrespondent in Taiwan, möchte 2000 Euro für sein neues Taiwan-Buch. Leute, die ihn mit einem Mindestbetrag unterstützen, bekommen das Buch. Das ist Vorfinanzierung in reinster Form und funktioniert wie bei Kickstarter als Shop. Wenn die 2000 Euro nicht zusammen kommen, dann macht er sich erst gar nicht die Arbeit, das Buch zu schreiben. Das finde ich legitim und clever.

Wozu sind spezielle Journalismus-Finanzierungs-Plattformen nötig, wenn es doch große Plattformen wie Kickstarter in den USA und Großbritannien und Startnext in Deutschland gibt?

Man kann die Finanzierung auch über die eigene Webseite laufen lassen, so technisch anspruchsvoll ist das nicht. Die Frage ist, was der Mehrwert einer Plattform ist. Bei Kickstarter ist es das positive Image und der Netzwerkeffekt der großen Community. Ich glaube aber, dass Journalismus zwischen den Gadgets bei Kickstarter etwas untergeht. Bei journalistischen Projekten ist die Motivation der Unterstützer, Teil eines Projekts zu sein, das auch einen ideellen Wert hat. Unsere Rechtfertigung dafür, eine eigene Platfform zu starten, ist , dass wir eine Community um das Journalismus-Crowdfunding herum aufbauen wollen. Das bedeutet auch, dass wir auswählen und uns vorbehalten, Projekte abzulehnen, weil sie nicht unserer Vorstellung von unabhängigem transparentem Journalismus entsprechen. Projekte profitieren davon, dass Nutzer die unsere Site besuchen, gezielt nach journalistischen Projekten suchen.

Wie sind die bisherigen Reaktionen, seit Ihr das Projekt im Herbst angekündigt habt?

Die Reaktionen sind sehr positiv und mutmachend. Das macht mich fast ein bisschen nervös, weil ich hoffe, dass wir technisch alles hinbekommen, wenn dann am Dienstag hoffentlich der große Ansturm kommt. Genauso wichtig ist es, dass der Enthusiasmus der Reporter auch bei den Unterstützern ankommt. Ich glaube, wenn es am Anfang ein paar erfolgreiche Projekte gibt, dann hat das ganze Prinzip Journalismus-Crowdfunding in Deutschland eine sehr gute Chance. Ich möchte wirklich an die Leute appellieren, auf die Seite zu gehen und zu schauen, ob man eines der Projekte überzeugend findet und mit zehn oder 50 Euro unterstützen möchte. Vielleicht profiert man persönlich davon, Teil des Unterstützerteams dieses Reporters zu werden.

Wie finanziert Ihr die Plattform?

Ursprünglich hatten wir einen eingetragenen Verein gegründet und sogar schon drei Stiftungen (Augstein-Stiftung, BMW-Stiftung, und Hamburger Stiftung für Wirtschaftsethik) gefunden, die die Entwicklung finanzieren wollten. Dann stellte sich aber heraus, dass man Crowdfunding zumindest in Deutschland nicht gemeinnützig betreiben kann. Das hängt damit zusammen, dass man als Plattform einen Vertrag zwischen den Unterstützern und den Reporten vermittelt und der Reporter muss dann auf jeden Fall gemeinnützige Arbeit leisten. Unser Risiko wäre gewesen, bei kommerziellen Projekten, die wir auch ermöglichen möchten, am Ende für die Steuern verantwortlich zu sein. Deshalb haben wir die Stiftungsgelder zurückgezahlt und machen es jetzt lieber alleine. Ich finde, dass es Journalismus gut ansteht, nach marktwirtschaftlichen Kriterien zu funktionieren, um die Unabhängigkeit zu sichern. Jetzt haben wir selbst zwar kein Geld mehr, aber es funktioniert.

Soll Krautreporter auch für Euch ein Geschäftsmodell werden?

Das soll und kann es nicht werden. Wir behalten fünf Prozent der erzielten Summe ein, sobald ein Projekt gelingt. Um uns 1000 Euro Gewinn – nicht Umsatz – auszuzahlen, bräuchten wir eine halbe Million Euro an Projektgeldern. Aber journalistische Projekte brauchten ja oft nicht viel Geld. Da geht es um Flugkosten oder ein paar Hotelübenachtungen. Ich hoffe, dass wir irgendwann mal unsere Betriebkosten decken können, aber das ist nicht sicher und das ist auch nicht unsere Motivation. Es ist ein einfach ein Projekt, dass uns wichtig ist und uns ganz bestimmt auch auf andere Weise weiterbringen wird.

Hast Du ein paar Tipps für eine erfolgreiche Kampagne?

Der wichtigste Punkt ist wohl, genau zu überlegen, wer die Zielgruppe des eigenen Projekts ist. Beim Crowdfunding muss man sich nicht an ein Massenpublikum wenden. Man kann Geschichten machen, die in der Zeitung oder im Fernehen keine Chance hätten, weil das Publikum zu speziell ist. Man kann ein Dorf zum Thema machen, jeden in diesem Dorf interviewen und die Bewohner um 3000 Euro für das Projekt bitten. Klaus Bardenhagen richtet sich mit seinem Taiwan-Buch bestimmt auch nur an ein kleines Publikum: Deutsch-Taiwanesen oder Deutsche in Taipeh oder das Goethe-Institut. Es kann sich aber trotzdem lohnen, auf diesem Weg ein Buch für diese Leute zu schreiben. Wenn man sein Publikum richtig einschätzt und die Leute richtig kontaktiert und aktiviert, dann hat man super Chancen. Der zweite Tipp: Man muss sich überwinden. Die Amerikaner sagen immer: Go beyond your comfort zone. Man muss auch Dinge machen, die einem vielleicht unangenehm sind.

Zum Beispiel sich als Journalist aktiv vermarkten?

Allein, sich hinzustellen, und in einem Video seine Idee vorzustellen, kostet Überwindung. Viele Menschen denken von sich, dass Sie vor der Kamera nicht gut wirken. Aber wir machen ja kein Fernsehen, sondern wir reden im Internet auf Augenhöhe mit anderen Menschen. Man muss die Leute auf einer emotionalen, persönlichen Ebene erreichen und mit ihnen in einen wirklichen Austausch treten. Sie unterstützen ja nicht nur die Idee, sondern auch die Person dahinter. Es ist eine Chance, ein neues Verhältnis zwischen Reporter und Leser/Hörer/Zuschauer zu schaffen und eine eigene Crowd um sich zu herum zu versammeln. Diese Chance muss man abwägen gegen das Risiko, dass es eventuell auch schief gehen kann.


Das Interview ist ursprünglich auf Ulrike Langers Blog Medial Digital erschienen.

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