Zum Inhalt springen

Polen im Kampf gegen die Überwachung

Mit bei Minusgraden frierenden polnischen Demonstranten begann in Europa der Protest gegen ACTA. Von Anfang an dabei: die polnische NGO „Fundacja Panoptykon“. VOCER hat mit der Vorsitzenden Katarzyna Szymielewicz über die Initiative und den Stand der Netzpolitik in Polen gesprochen.

Katarzyna Szymielewicz (Jahrgang 1981) war als Rednerin auf der diesjährigen re:publica zu Gast, um einen Vortrag über die Gefährdung der Privatsphäre durch staatliche und unternehmerische Datensammelwut zu halten. Mit der von ihr gegründeten und geführten polnischen NGO „Fundacja Panoptykon“ mit Sitz in Warschau engagiert sie sich gegen die Totalüberwachung und macht sich für digitale Bürgerrechte stark. Nach ersten Erfolgen gegen das Handelsabkommen ACTA und gegen eine Initiative für Websperren berät sie mittlerweile die polnische Regierung zu digitalen Themen. Szymielewicz ist außerdem seit 2012 Vizepräsidentin des europäischen NGO-Dachverbandes EDRi.

VOCER: Frau Szymielewicz, vor fünf Jahren haben Sie die Organisation „Panoptykon“ gegründet. Was ist deren Zweck?
katarzyna_SzymielewiczKatarzyna Szymielewicz: Unsere Mission ist es, der Überwachungsgesellschaft entgegenzuwirken und Menschenrechte im Zusammenhang mit Überwachung zu verteidigen. Für uns ist Technologie nicht die einzige Quelle von Überwachung, aber diese beiden sind eng miteinander verknüpft. Die Initative ist übrigens nicht nur auf Polen beschränkt.

Welche Bedeutung steckt im Fall Ihrer Organisation hinter dem Begriff „Panoptykon“?
„Panoptykon“ bezieht sich auf das Konzept Foucaults für das perfekte Gefängnis sowie ein System totaler Überwachung der Gesellschaft. Weder ist in diesem System ersichtlich, wer die Macht hat und wo die Wächter sind, noch weiß man, ob man beobachtet wird oder nicht. Weil aber jederzeit die Möglichkeit der Überwachung besteht, verhält man sich in jedem Fall entsprechend. Man kontrolliert sich demnach selbst. Es dreht sich also um Konformismus, um die wahren Machtverhältnisse, die in den Diskursen verborgen sind. Es geht eher um die weiche Form von Macht als die sehr direkte, in der man zum Beispiel mit Waffengewalt dazu gezwungen zu etwas gezwungen wird. Dieser Name ist natürlich ironisch: Wir haben diesen Begriff gewählt, der für etwas steht, was wir verhindern wollen.

Wie ist die Panoptykon Foundation entstanden?
Zusammen mit drei Freunden habe ich die Organisation vor fünf Jahren ins Leben gerufen. Dabei handelte es sich damals um eine direkte Reaktion auf meine eigene Enttäuschung darüber, wie die polnische Gesellschaft zu der Zeit funktionierte. Durch meine Arbeit im privatwirtschaftlichen Sektor — ich bin Anwältin und habe für Unternehmen gearbeitet — merkte ich sehr bald, dass es eine extrem deprimierende Arbeit ist, wenn man sich in den Dienst von Unternehmen stellt, um ihnen zu helfen, business as usual zu betreiben — ohne Rücksicht auf Werte, ohne sozialen Mehrwert, ohne etwas Bedeutungsvolles. Deshalb habe ich meinen eigenen Weg gesucht, die Gesellschaft und die Mechanismen der Macht zu beeinflussen. Ich hatte einfach das Gefühl, als Bürgerin manipuliert zu werden in meiner Bildung und in meiner Karrierewahl. Ich wurde manipuliert zu denken, dass ich als Individuum arbeiten sollte. Ich sollte nur für mich selbst arbeiten, mir wurde vermittelt, die Gesellschaft bedrohe mich mit verschiedenen Dingen, zum Beispiel mit Arbeitslosigkeit, Armut oder sozialem Ausschluss. Und die einzige Lösung, die mir die Gesellschaft dafür bot, war: „Mache es alleine! Sei die Beste! Setze dich gegen die anderen durch! Arbeite hart!“

Wie sind Sie dieser Fremdbestimmung schließlich entkommen?
Zunächst brauchte ich ein stärkeres Bewusstsein dafür und ein besseres Verständnis davon, wie die Machtmechanismen um mich herum funktionieren; welche Kräfte mich in die Richtung einer bestimmten Karriere steuerten, meine politischen Entscheidungen beeinflussten, meine wirtschaftlichen und meine Karriereentscheidungen. Ich hatte damals ein sehr rudimentäres Verständnis meiner eigenen Situation. Es war alles noch ziemlich abstrakt, aber da beschloss ich, meine Karriere aufzugeben und einen zweiten Abschluss in Sozialwissenschaften zu machen — und zwar an der School of Oriental and African Studies in London. Dort habe ich dann Werke von Foucault und anderen Philosophen gelesen, die solche Prozesse erklären, und ich stellte fest: „Genau das passiert mir auch! Das entspricht meinen Erfahrungen in Polen als Mitglied einer Gesellschaft nach einem Umbruch hin zu einem extremen Neoliberalismus, fokussiert auf das Individuum, auf Wettbewerb und all diesen neoliberalen Scheiß.“

Wie haben Sie anschließend Wege entwickelte, um etwas zu verändern?
Als Anwältin machte es Sinn, mich mit rechtlichen Angelegenheiten und mit Menschenrechten zu beschäftigen. Menschenrechte sind ein wichtiger Referenzpunkt für uns, diese Prozesse und das egoistische Denken zu stoppen. Denn bei Menschenrechten geht es um Möglichkeiten, darum, Diskriminierung zu verhindern und um Menschenwürde — alles, was Zusammenarbeit, Teilen und Einsatz erfordert. Da lagen meine Anfänge.

Gegen welchen Angriffspunkt haben Sie Ihre Ambitionen zunächst gerichtet?
Ich brauchte zwei Jahre, um festzustellen, dass die Überwachung das grundlegende Problem ist. Zu dieser Zeit wurde in Polen bekannt, dass es dort CIA-Auslieferungsprogramme und geheime CIA-Posten im Süden des Landes gab. Das war eine große, unglaubliche Sache. Wir konnten nicht glauben, dass Polen in der Zusammenarbeit mit den USA so weit gehen würde, Menschenrechte mit Füßen zu treten und grundlegende Freiheiten zu verletzen, zum Beispiel den Schutz vor Folter. Das war der Auslöser für mich, nach Polen zurückzukehren und etwas dagegen zu unternehmen.

In welcher Situation haben Sie Ihre Heimat dann vorgefunden?
Als ich mich mehr mit dem Thema beschäftigte, kam ich zu der Erkenntnis, dass Überwachung viel weiter geht als die Spionage von CIA und anderen Geheimdiensten. Überwachung findet in allen Bereichen des Lebens statt: im Gesundheitssektor, in der Bildung, in der Privatwirtschaft, im Internet, in öffentlichen Datenbanken. Praktisch überall unterliegen wir irgendeiner Form der Überwachung mit dem Ziel, uns ruhigzustellen. Wir sollen uns nur mit unserem eigenen kleinen Leben beschäftigen, nicht mit den großen politischen Fragen. Das war der Schluss, den ich aus meinen Nachforschungen zog. Und so gründeten wir „Panoptykon“ als eine Organisation zur Aufklärung über Überwachung, aber auch als Watchdog für Menschenrechte und für die Sicherung der Freiheit der Menschen.

Was unterscheidet Panoptykon von anderen Initiativen?
Zwar gibt es Überschneidungen zu anderen Menschenrechtsorganisationen, und „Panoptykon“ hat auch schon öfter mit anderen Organisationen zusammengearbeitet. Aber ich glaube, bevor wir aktiv wurden, gab es niemanden, der sich um Themen wie digitale Rechte und Überwachung in Polen kümmerte. Wir sind also ziemlich innovativ, was das angeht, und ich freue mich, dass diese Dinge nun breiter diskutiert werden. Jetzt können uns weder die Medien noch die Politik einfach ignorieren. Wann immer etwas in diesem Bereich diskutiert wird, laden sie uns zur Konsultation ein, oder tauschen sich in öffentlichen Debatten mit uns aus.

Was war Ihr bislang größter Erfolg?
Unsere Regierung beschloss vor etwa vier Jahren, bestimmte Websites zu sperren, und jeder vernünftig denkende Mensch war dagegen. Es gab eine große Koalition aus Unternehmen, NGOs, Politikern und Technikern, die sagte, „Das könnt ihr nicht machen. Es ist lächerlich und es wird nicht funktionieren. Es wird ein großer Nachteil für die Gesellschaft sein, aber es wird Probleme wie Online-Glücksspiel oder Kinderpornografie nicht lösen.“ Wir erklärten das der Regierung und die gab schließlich den Vorstoß auf. Das war die Initialzündung für unsere Bewegung. Danach ging es um die kontrovers diskutierte Regulierung von audiovisuellen Diensten. Und danach kam ACTA, worüber in Polen heftig gestritten wurde, das hat uns auch Schwung verliehen.

Wie ist Ihre Initiative organisiert?
Wir sind keine mitgliedsbasierte Organisation, sondern eine professionelle NGO. Nach polnischem Recht sind wir eine Stiftung, also nicht offen für alle. Wir brauchten einfach eine Rechtsform für die Organisation und es gibt einen Vorstand und neun professionelle, feste Mitarbeiter, die meisten sind Anwälte. Wir haben da ein ähnliches Prinzip wie die „Digitale Gesellschaft“. Wir liefern professionelle Arbeit. Erstens reden wir direkt mit Politikern und Politikerinnen, um den politischen Entscheidungsprozess zu beeinflussen. Natürlich brauchen wir auch die Medien und öffentliche Aufmerksamkeit. Wir brauchen Expertisen, wir erstellen Papiere und Gesetzesänderungen, wir gehen zu Meetings — wir machen alles, was mit dem politischen Prozess zusammenhängt. Das ist ein großer Teil unserer Arbeit und der findet sowohl in Brüssel als auch in Warschau statt. Zweitens sprechen wir Menschen direkt an. Wir informieren sie über Probleme mit Broschüren, Infomaterial, Blogs — was immer nötig ist, um ein Bewusstsein für ein bestimmtes Anliegen zu schaffen und um Menschen zu zeigen, wie sie sich schützen und wie sie selbst aktiv werden können.

Warum ist Ihnen das ein ebenso wichtiges Anliegen wie die Lobbyarbeit?
Wenn wir eine besser informierte Öffentlichkeit haben, wird diese die Medien und die Politik zwingen, sich ebenfalls besser zu informieren. Der Anstoß kommt von der Öffentlichkeit. Im Moment berichten die Medien auf eine sehr stupide Weise, was diese Themen angeht. Ich habe seit zehn, fünfzehn Jahren nicht mehr regelmäßig ferngesehen, weil es kein vernünftiges Angebot für mich gibt. Wenn mehr Menschen so denken würden, müssten die Medien ihre Art, uns zu informieren, verändern. Wir müssen irgendwo anfangen. Und wenn wir mit unserem eigenen Problembewusstsein anfangen und Forderungen stellen, ist das der schnellste Weg, die Politik und die Medien zu beeinflussen, und nicht umgekehrt. Briefe schreiben an Europaabgeordnete und Regierende mit der Forderung, ihre Politik zu ändern, kann helfen, aber wir brauchen auch eine anhaltende öffentliche Aufmerksamkeit. Wenn die Medien nicht interessiert sind an diesen Themen, glaube ich, dass auch Tausende Briefe keinen Einfluss auf die Politik haben werden. Wenn wir aber direkt bei den Bürgerinnen und Bürgern ansetzen, dann haben wir vielleicht einen Verlauf wie bei der Umweltbewegung. Auf einmal waren alle grün. Manche waren vielleicht zynisch dabei, aber sie waren gezwungen, sich an der Diskussion zu beteiligen, so zum Beispiel auch die Unterstützer der Bergbauindustrie. Genau dieses Graswurzelbewusstsein müssen wir auch für das Internet schaffen.

Übersetzung aus dem Englischen: Jan Ewringmann

Nach oben