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Im Fokus der Salafisten

Wenn Journalisten über Salafisten berichten, müssen sie mit Gegenwehr rechnen. Unser Autor stand unter Polizeischutz, nachdem er über eine Veranstaltung berichtet hatte, bei der dazu aufgerufen wurde, für den salafistischen Islam zu kämpfen.

Die Eventhalle in der Dortmunder Nordstadt ist am 1. September 2013 gut gefüllt. Normalerweise werden hier türkische Hochzeiten gefeiert, heute sitzen etwa 400 Männer in dem dicht bestuhlten Raum. Halb so viele Frauen sitzen in einem Nachbarraum, es herrscht strikte Geschlechtertrennung.

Wirklich wohl fühle ich mich im Männersaal nicht, auch wenn hier – noch – alle freundlich zu mir sind. Irgendwie scheine ich zu ahnen, dass dieser Tag Veränderungen für mich bedeutet. Neben mir sitzt ein Mann, den ich gebeten hatte, mich zu begleiten, weil er Arabisch spricht. Ich werde seinen Rat heute nicht brauchen, die Redner, die gleich auftreten werden, sprechen alle Deutsch. Und sie sprechen eine deutliche Sprache. Geredet wird aber nicht über Brunnenbauprojekte in Afrika, wie es Besucher der Veranstaltung eigentlich hätten erwarten können, schließlich hat der Osnabrücker Verein Afrikabrunnen e.V. heute nach Dortmund geladen. Geredet wird über den Islam, über den salafistischen Islam.

Die ersten beiden Redner treten noch relativ gemäßigt auf. Es sind Abu Adam (der deutsche Konvertit Sven Lau) und Abu Dujana. Es geht um die Umma, also die islamische Weltgemeinschaft. Die gelte es zusammenzuführen, im Sinne des Propheten Mohammed und der islamischen Sitten und Gebräuche des 7. Jahrhunderts, der Zeit, zu der Mohammed gelebt hat.

Kampf für den salafistischen Islam

Salafisten, der Begriff leitet sich vom arabischen Wort Salafiya, was „die frommen Altvorderen“ oder „die Vorgänger“ bedeutet, ab, akzeptieren nur den Koran und die islamische Vers-Sammlung der Sunna als Rechtsquellen und Vorgabe, wie ein Mensch zu leben hat. Was das bedeutet, macht der dritte Redner den Anwesenden dann unmissverständlich klar. Es ist der Deutsche Abu Abdulla, der an diesem Nachmittag so konkret wird, wie ich es mir im Rahmen einer solchen Veranstaltung niemals hätte vorstellen können.

Von einem Hadith, das ist ein Vers der Anweisungen, Empfehlungen und Berichte des Propheten Mohammed überliefert, leitet Abu Abdulla ab, dass eine entscheidende Schlacht zwischen Muslimen auf der einen und Christen und Juden auf der anderen Seite unmittelbar bevorstehe. Er fordert die Besucher des Brunnenfestivals immer wieder auf, sich an dieser Schlacht zu beteiligen, nicht weiter untätig zu bleiben, sondern für den salafistischen Islam zu kämpfen, in den Dschihad zu ziehen. Und damit meint dieser Mann nicht nur die Bemühung für den Islam, auch das kann nämlich Dschihad bedeuten, er meint den bewaffneten, den militanten Dschihad, anders lassen sich seine Worte nicht interpretieren.

In der Zeit Mohammeds seien die Römer der Feind gewesen, sagt Abu Abdulla, heute sind die Römer Amerika, Europa, die Christen und gegen die müsse die muslimische Gemeinschaft in den Krieg ziehen. Das ist Volksverhetzung, denke ich, und es wird Zeit, den Veranstalter dieses so genannten Brunnenfestivals damit zu konfrontieren. Der Zeitplan meint es gut, nach der Rede Abu Abdullas ist ein Pause angesetzt.

Journalisten unter Polizeischutz

Ich bin für das WDR-Fernsehen hier, habe es aber erst einmal vorgezogen, die Veranstaltung ohne ein Kamera-Team zu besuchen. Trotzdem existieren Videoaufzeichnungen vom dem, was ich da gerade gehört habe, darauf werde ich zurückgreifen können. Jetzt, vor der Halle, rufe ich den Kameramann an, der einige Straßen weiter auf diesen Anruf wartet. Vorher bitte ich den Einsatzleiter der Polizei, die seit Stunden vor Ort ist, gleich besonders achtsam zu sein, schließlich gibt es Kollegen, die schon schlimme Erfahrungen machen mussten, nachdem sie über die Salafisten-Szene berichtet hatten. Dazu gehört auch ein WDR-Kollege aus Bonn, er steht seit mittlerweile zwei Jahren unter Polizeischutz. Noch ahne ich nicht, dass mir diese zweifelhafte Ehre nach dem heutigen Tag auch zuteil wird.

Als der Kameramann vor der Veranstaltungshalle auftaucht, wird es unruhig. Die meisten Besucher sind jetzt hier draußen, es ist eine öffentliche Straße, kein Privatgelände. Trotzdem werden wir aufgefordert, nicht zu drehen, ziemlich schnell bildet sich eine Menschentraube um uns. Die Polizei ist auf Zack und erklärt den Menschen, dass wir uns im öffentlichen Raum befinden, der WDR hier drehen darf. Ich versuche mit dem Veranstalter zu sprechen und frage auch nach dem Redner Abu Abdulla, aber die Ablehnung wird immer größer, ein Gespräch mit einem der beiden wird verweigert. Stattdessen kommt plötzlich ein Mann mit einer Kamera auf mich zu. Es ist der Kölner Salafist Sabri Ben Abda.

Vertauschte Rollen

So wie die drei Redner, die ich in der Halle gehört habe, kommt Ben Abda aus dem Umfeld der salafistischen Gruppierung „Die wahre Religion„. Begleitet wird er von etwa 20 Männern und plötzlich bin ich derjenige, der interviewt wird. Ich lasse mich darauf ein, ich bin ja hier, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Allerdings merke ich schnell, dass ein echtes Gespräch mit Ben Abda kaum möglich ist. Er fragt mich, für welchen Sender ich arbeite und ob auch ich vorhabe, schlecht über diese Veranstaltung zu berichten. Das verneine ich, für den WDR sei ich dort, ich merke an, dass mich die Inhalte der Reden sehr nachdenklich gestimmt haben und dass ich mich frage, was das alles mit Brunnenbauprojekten in Afrika zu tun habe.

Ben Abda wird schnell beleidigend, schleudert mir entgegen, für einen zionistischen Lügensender zu arbeiten, der Muslime per se schlecht machen wolle und bei dem ja vor allem Rassisten arbeiten. Wieder verneine ich, frage ihn, wie er darauf kommt und ernte noch mehr Hass. Vor laufender Kamera beleidigt mich Ben Abda als „Schweinehund, Lügner und rassistisches Schwein“, ich solle mich zu „meinem WDR verpissen“. Das alles wollte ich eigentlich nicht hören, aber irgendwie bestätigt es mich, hier genau richtig zu sein.

Während des gesamten „Dialogs“ sind mein Kameramann und ich von Menschen umringt, sie halten mir Handys ins Gesicht, filmen und fotografieren, wollen ganz offensichtlich einschüchtern. Der einzige, der bereit ist, ein halbwegs normales Gespräch mit mir zu führen, ist der Mönchengladbacher Konvertit Sven Lau, der sich Abu Adam nennt. Ich frage ihn, ob Christen und Juden für ihn keine Gläubigen seien. Er antwortet ausweichend, sie hätten nicht den richtigen Glauben, am jüngsten Tag würden alle Nicht-Muslime in der Hölle landen, das sei der einzige Grund, warum er versuche, alle Menschen davon zu überzeugen zum Islam zu konvertieren. Sven Lau glaubt an das, was er mir da sagt.

Beleidigungen im Netz

Drei Tage nach der Veranstaltung entdecke ich ein Video im Internet. Dort sind mein Kameramann und ich zu sehen, aus der Perspektive der Kamera, die Sabri Ben Abda geführt hat. Dieses Video hat Ben Abda produziert, es ist 15 Minuten lang, zeigt nicht nur mich, sondern auch Außenaufnahmen von WDR-Gebäuden in Köln, alle WDR-Mitarbeiter werden dort pauschal als „Schweine“ beleidigt. Es ist Teil eins einer Hetzkampagne.

Eine Woche später erscheint Teil zwei, dort hetzt Ben Abda weiter gegen den WDR und den Zentralrat der Muslime, denn der hat sich mittlerweile vom Salafistenauftritt in Dortmund distanziert. Der Dortmunder Staatsschutz nimmt vor allem Teil eins des Videos sehr ernst, dieses Video wird in nur zwei Tagen mehr als 10.000 mal abgerufen, jetzt stehe auch ich unter Polizeischutz. Auch die Dortmunder Staatsanwaltschaft interessiert sich sehr für den 1. September 2013, es laufen Ermittlungen gegen den Prediger Abu Abdulla wegen Volksverhetzung, ein Strafverfahren gegen Sabri Ben Abda wegen Beleidigung ist eingeleitet.

Es sind nicht die einzigen juristischen Konsequenzen, die Ben Abda drohen (siehe hier, hier und hier). Die Hetzvideos aus Dortmund sind mittlerweile auf allen Internetplattformen gelöscht, sowohl der NDR als auch der WDR hatte sein Justitiariat damit beauftragt.

Verfassungsfeindliche Ziele

Zwei Wochen später tritt wieder eine Salafisten-Gruppe in Dortmund auf. Die Furkan-Gemeinschaft kommt ursprünglich aus der Türkei und versucht in erster Linie, in Deutschland lebende türkischstämmige Menschen anzusprechen. Diese Gruppe ruft anders als Redner und Prediger von Vereinen wie „Die wahre Religion„, „Helfen in Not“ oder „Afrikabrunnen e.V.“ nicht offen zum gewaltsamen Dschihad auf, verfolgt aber die gleichen verfassungsfeindlichen Ziele: eine weltweite islamische Zivilisation zu errichten.

Burkhard Freier, Leiter des nordrhein-westfälische Verfassungsschutzes, ordnet die Furkan-Gemeinschaft dem salafistischen Spektrum zu und bestätigt, dass diese Organisation von seiner Behörde beobachtet wird. Auch zu dieser Veranstaltung soll ich einen Fernsehbeitrag für den WDR produzieren. Als ich dort ankomme, ist die Begrüßung freundlich aber bestimmt, ich sei doch der WDR-Reporter aus dem Sabri-Film. Obwohl ich ohne Kamera unterwegs bin – die sollte erst zum Einsatz kommen, nachdem ich mir ein Bild von der Furkan-Konferenz gemacht hatte -, wird mir der Zugang verwehrt. Also rufe ich wieder meinen Kameramann an und versuche direkt mit den Besuchern ins Gespräch zu kommen. Viel bringt das aber nicht, die Mitarbeiter der Furkan-Gemeinschaft gehen immer wieder dazwischen, bitten die Besucher vor der Halle darum, einfach weiterzugehen und nicht mit mir zu reden. Offenheit sieht anders aus.

Einen Tag danach suche ich die Buchhandlung eines der Prediger vom Vortag auf. Ohne Kamera ist er bereit mit mir zu sprechen. Gewalt lehne er ab, das glaube ich ihm sogar, es gehe ihm um die schlechte Lage der Welt. Er könne den Dschihad in vielen Ländern verstehen und betont ausdrücklich, dass es ihm um die Anstrengung für den Islam gehe, nicht um den gewaltsamen Dschihad. Auch sieht er keinen Kampf der Religionen gegeneinander, sondern einen Kampf der Systeme. Das westliche System sei eine Quelle für viele Ungerechtigkeiten, er strebe eine gerechte, islamische Zivilisation für alle Weltenbürger an (siehe: Die Muslime übernehmen sehr bald die Weltherrschaft).

Viele Verschwörungstheorien

Auf die darauf folgende Berichterstattung im WDR, in der der Leiter des NRW-Verfassungsschutzes seine Bedenken bezüglich der Furkan-Gemeinschaft äußert, reagieren auch diese Salafisten im Internet. Das religiöse Oberhaupt dieser Gruppe, Alparslan Kuytul Hocaefendi, schickt ein Video aus der Türkei und nimmt Stellung. Er vermutet unter anderem, dass ein Geheimdienst den WDR animiert hat, diesen Beitrag zu produzieren, stellt die Behauptung auf, der WDR habe berichtet, es sei wahrscheinlich, dass die Furkan-Gemeinschaft sich an bewaffneten Aktivitäten beteilige. Das war aber nicht der Fall. Eine Verschwörungstheorie jagt die nächste, etwa, dass hinter den Terroranschlägen vom 11. September 2001 auf die Türme des World Trade Centers und das Pentagon die USA steckten, um in der westlichen Welt die Angst vor Muslimen zu schüren.

Die Zahl der Salafisten in Deutschland steigt rasant, ging das Bundesamt für Verfassungsschutz 2011 noch von bundesweit 3.800 Anhängern dieser islamischen Gruppe aus, lautet die diesjährige Schätzung 5.500. Allein in Nordrhein-Westfalen sind es etwa 1.500 Salafisten. Nicht alle sind gewaltbereit, aber auch die Zahl derjenigen, die zum bewaffneten Kampf gegen Andersgläubige aufrufen, steigt.

Immer mehr junge Menschen zieht es ins Ausland, um dort für einen salafistischen Islam zu kämpfen, allein 250 bis 300 Deutsche sind zurzeit in Syrien und beteiligen sich auf Seiten der al-Qaida nahen Gruppe Jabhat al-Nusra am Kampf gegen das Regime von Baschar al-Assad. Ihr Ziel ist es aber nicht, dem syrischen Volk zu helfen, sondern einen islamischen Gottesstaat auf syrischem Boden vorzubereiten.

Der Verfassungsschutz fürchtet vor allem die Gewaltbereitschaft dieser Männer, wenn sie nach Deutschland zurückkehren. Ein Staatsschützer aus dem Ruhrgebiet sagte mir in einem Hintergrundgespräch, dass er nicht hoffe, dass es in nächster Zeit zu einem Anschlag in Deutschland kommt, er und seine Kollegen glauben aber, dass wir schon längst „überfällig“ seien.

Eine Warnung für junge Menschen

Über den Salafismus zu berichten, seine Ziele zu beleuchten und die Protagonisten im Blick zu haben, kann nur präventiven Charakter haben und eine Warnung vor allem für junge Menschen sein, die anfällig sind für diese Ideologie, die Halt und Werte zu vermitteln scheint. In einem Interview mit WDR.de fordert der Medienwissenschaflter und -ethiker Professor Christian Schicha nicht nur über dieses Thema zu berichten, wenn es einen Anschlag oder Ausschreitungen bei einer Veranstaltung der salafistischen Szene gegeben hat, sondern über „die Hintergründe, die Motive, die Finanzierung und die weiteren Ambitionen zu recherchieren und diese aufzudecken“.

Wer also in wessen Fokus steht, spielt erst einmal keine Rolle. Als Journalisten haben wir die Ambition, aufzuklären und zu informieren über die Ziele von Menschen, die anderen ihren Glauben und ihre Lebensweise – auch mit gewalttätigen Aktionen – aufzwingen wollen. Genau das sollte der Anspruch von Journalismus sein, auch an diesem Thema weiter dranzubleiben.

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