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Happy Holidays?

In den USA sind Demonstrationen gegen die Polizeigewalt Thema Nummer eins, in Deutschland sind es verunsicherte Wutbürger. Eva Flecken vergleicht die Medienberichte in beiden Ländern und zieht ein persönliches Resümee.

In der diesjährigen Vorweihnachtszeit verbrachte ich ein paar fröhliche Ferientage in New York. Eine Erkenntnis lässt mich seitdem nicht mehr los und lenkt meinen Blick im alltäglichen Berlin: Der Diskurs in Deutschland wird für mich insbesondere dadurch bestimmt, dass er bemerkenswert (wert, es zu bemerken) weiß, wütend und mir zunehmend fremd ist. Hier entwickelt sich derzeit eine Stimmung, die mich an gelassenen Tagen den Kopf schütteln lässt und zur aufgebrachter Stunde zum Schreien und Aufstampfen anpeitscht.

Ich hatte mir im Urlaub eine digitale Diät verordnet. Zugegeben, nicht ganz freiwillig. Erstens ist die Versorgung mit freiem WiFi in NYC nicht so gut wie ihr Ruf. Zweitens bin ich ziemlich faul, wenn es darum geht, Benutzerkonten anzulegen. Drittens sind die Roamingkosten absurd. Ich war also die meiste Zeit offline, habe mich vornehmlich über amerikanische TV-Sender informiert und bin den deutschen Medien fremdgegangen. Ich gebe zu, ich war nicht unbedingt up to date.

Der Dezember ist der Monat der Weihnachtsfeiern – so auch in NYC. Es begab sich, dass ich an einer Weihnachtsfeier der deutsch-amerikanischen Finanzwelt teilnehmen durfte. Dieser Abend war sehr lehrreich. Es gehört sich bei der Weihnachtsansprache beispielsweise nicht, dass der Chef den Mitarbeitern „Merry Christmas“ wünscht. Ich lernte außerdem, dass afghanisch-stämmige Börsenhändler durchaus die Republikaner wählen. Umgekehrt bekennen sich harte Wallstreet-Jungs, mit Hosenträgern, grauen Haaren, weißen Manschetten zum blauen Hemd und Cheney-Antlitz dazu, glühende Demokraten zu sein. Unerwartet. Zumindest für mich und meine Vorurteile.

Hispanische Santas, asiatisch Elfen, schwarze Engelchen

Ebenfalls Teil meiner Urlaubserinnerung ist der Samstag, an dem in NYC eine Demo zu Ehren von Eric Garner stattfand. Es kreisten bedrohlich viele Hubschrauber über Manhattan und die Stimmung war aufgeladen und mahnend – in vielerlei Hinsicht. An ebenjenem Tag, auf denselben Straßen tanzte aber auch „Bad Santa“. Eine mir bis dato unbekannte Tradition. Weihnachtlich verkleidet wird ordentlich getrunken und gefeiert. So standen vor den Irish Pubs hispanische Santas, asiatisch Elfen, schwarze Engelchen, weiße Santa’s little helper. Eine irgendwie widersprüchliche Szenerie an jenem Samstag in Midtown. Doch stellte ich dank der Summe dieser vielfältigen Urlaubserfahrungen frohgemut an mir fest: Was für ein wohltuendes, erfrischendes Gefühl es sein kann, wenn man die Welt nicht versteht!

Es kann sich aber auch gruselig anfühlen. Ich steige in Deutschland aus dem Flugzeug und sehe noch am Kofferband die Meldung, dass die CSU die Lösung aller Integrationsprobleme gefunden hat: Deutschsprechen für alle in Deutschland lebende Familien. Say again? Weiter flimmern Bilder von bizarren Demonstrationen über den stummen Bildschirm. Es geht irgendwie um rechtspopulistisch-nazistische Akronyme, getarnt als europäische Sicherheitspolitik. Excuse me? Unmittelbar kommen Bilder aus vergangenem Berliner Sommer hoch: Eine Nazikundgebung am Brandenburger Tor und eine Demo vorbei an der Neuen Synagoge, bei der durch das Megafon Israel das Existenzrecht abgesprochen wurde.

Es geht mir keinesfalls um eine unkritische Glorifizierung der USA und ebenso wenig um ein polemisches Schlechtreden der deutschen Gesellschaft. Mir geht’s vielmehr darum: Ich bin ratlos und verstehe das alles nicht mehr.

Menschen gehen hier auf die Straße, weil sie Angst vor Überfremdung haben und skandieren gegen sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge. Welche Fremden-Flut denn überhaupt? Besonders bunt und vielfältig geht es bei uns doch gar nicht zu. Deutschland liegt nicht am Mittelmeer und ist nicht der Hafen für afrikanische Flüchtlingsboote. Wir waren vergleichsweise wenig erfolgreiche Kolonialisten. Mitten in Europa liegend, sind uns unsere Nachbarn ausgesprochen ähnlich. Woher kommen diese wütend-angsterfüllten Demonstranten?

„Fremdsein“ bedeutet, sich der eigenen Fremdheit bewusst sein. Vielleicht sollten wir Fremdsein als identitätsstiftende Kategorie in den Vordergrund stellen!? Schließlich sind in der Regel wir es, die fremd sind – sofern wir uns nicht im wohlig Vertrauten verstecken, sondern uns aus der Deckung des Bekannten herauswagen. Bevor der Finger mahnend auf andere – vermeintlich Fremde – zeigt, sollten wir uns häufiger selbst damit antippen.

Reisen bildet? Ja, verdammt. Tut es. Packen wir unsere Sachen, schauen wir über den Tellerrand und lassen wir uns und unsere Vorurteile irritieren. Zu dieser besinnlichen Jahreszeit sei uns so viel Pathos gestattet und schmettern wir gemeinsam ein hoffnungsvolles „happy holidays to all of you“!

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