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Gesucht: Spezialisten, nicht Alleskönner

Multimedia-Alleskönner landen im Mittelmaß, meint Burkhard Schäfers von der katholischen Journalistenschule ifp. Deshalb müssen Ausbilder verstärkt Projekte und Labore anbieten, damit sich Nachwuchsjournalisten spezialisieren können.

Sophia ist eine echte Überfliegerin: Sie verdient Geld mit ihrem Blog über fernasiatische Kochrezepte, produziert tolle Filme für ein hippes TV-Format, ist fast jeden Tag bei Facebook Live am Start. Für ihre investigative Recherche über Kinderarbeit in indischen Steinbrüchen wurde Sophia mit mehreren Journalistenpreisen ausgezeichnet. In der großen Konferenz hat sie der Chefredakteur wieder mal für ihre herausragende Schreibe gerühmt. Und das alles, obwohl sie gerade mal seit anderthalb Jahren mit der Journalistenschule fertig ist.

Nur: Sophia ist frei erfunden. Es gibt keine Edelfeder-VJ-Investigativ-Multimedia- Alleskönnerin, die binnen weniger Monate zur allseits gefragten Top-Journalistin aufgestiegen ist und von Medienmagazinen hochgejubelt wird. Was es stattdessen im Jahr 2016 gibt: Sehr gut ausgebildete Nachwuchsjournalisten, die viel über aktuelle Medienentwicklungen wissen, neue Darstellungsformen ausprobiert haben, und ein oder zwei Dinge ganz besonders gut können. Wer bei engagierten Kollegen volontiert oder eine der anerkannten Journalistenschulen durchlaufen hat, ist meist deutlich umfassender qualifiziert als seine Vorgänger vor zehn, 20 Jahren. Storytelling, Datenjournalismus, Interaktion mit Nutzern, Multimedia-Projekte, Unternehmerjournalismus, Drehen und Schneiden – die Ausbildungspläne sind heute sehr viel weitgreifender und spiegeln den digitalen Wandel wider.

Wer vorgibt, alles zu können, ist ein Blender

Gerade deshalb sollten angehende Journalisten am Ende ihrer Ausbildung erstmal für ein paar Tage die Bremse ziehen. Sie sollten mit sich selbst in Klausur gehen – überlegen, was sie besonders gut können, was sie damit erreichen und wie sie sich präsentieren wollen. Sie sollten der Versuchung widerstehen, mit einem All-Inclusive-Paket auf den Markt zu gehen. Wer vorgibt, alles zu beherrschen und dann auch noch alles gleich gut, der ist kein Genie, sondern ein Blender. Er hat nichts, das ihn aus dem Kreis der Bewerber auf Stellen, für Projekte oder Themen heraushebt.

Welche Redaktionsleiterin entscheidet sich schon für einen jungen Kollegen, der sich als „flexibel, interessiert, belastbar“ vorstellt? Gesucht werden stattdessen Spezialisten: Social-Media-Redakteure, freie Autoren, Community-Manager, Nachrichtenredakteure und gelegentlich auch mal klassische Reporter. Vermeintliche Alleskönner sind weniger gefragt – und ein guter Nachwuchsjournalist will so einen Job auch nicht haben.

Die Zeit für Bestehendes wird knapper

Was heißt das für die Journalistenausbildung? Erstens: Ausbildungseinrichtungen müssen weiterhin klassisches, journalistisches Handwerk vermitteln. Zweitens: Sie müssen Projekte organisieren, bei denen ein offener Verlauf und Ausgang Teil der Idee ist. Drittens: Ausbilder müssen ihre Schüler, Studierenden beziehungsweise Volontäre eng und individuell begleiten.

Zu Punkt eins: Weil neue Inhalte dazukommen, wird die Zeit für Bestehendes knapper. Das darf aber nicht dazu verleiten, Grundlagenwissen zu streichen. Nachrichtenfaktoren, Interviewführung, Recherchemethoden, die Herangehensweise an eine Reportage, Kommentar, Bildjournalismus, Medienrecht – das und einiges mehr müssen angehende Journalisten lernen, um später professionell arbeiten zu können. Und lernen heißt, dass ausreichend Zeit ist für Theorie, Übungen und deren Kritik.

Ausbildungsstätten müssen zum Labor werden

Nichtsdestotrotz gehören – zweiter Punkt – zu einer zukunftsorientierten Journalistenausbildung zusätzliche Inhalte, die potentielle Arbeit- und Auftraggeber nachfragen. Hierfür bieten sich Projekte und Werkstätten an. Die katholische Journalistenschule ifp startet zusammen mit dem Bayerischen Rundfunk in wenigen Tagen ein Social-Media-Video-Projekt. Dabei produzieren Volontäre mehrere Tage in Folge Webvideos, die sie auf verschiedenen Facebook-Kanälen des BR publizieren. Jeweils am folgenden Tag wird mit Hilfe der Nutzerzahlen ausgewertet, inwieweit die Umsetzung funktioniert hat. Durch dieses Experiment sollen sich die Volontäre unter realistischen Bedingungen zentrale Social-Media-Fertigkeiten aneignen.

Ein weiteres Beispiel: Beim Leipziger Katholikentag produzierten zwei Dutzend Journalistenschüler des ifp und des Medienkollegs Innsbruck Social-Media-Inhalte, Webvideos und multimediale Beiträge. Solche Projekte sind Ausnahmezustand, weniger planbar als ein seit langem etabliertes Seminar zum Thema Fotojournalismus. Sie ziehen sich manchmal bis in den frühen Morgen, aber – das wichtige – sie lassen Raum für kreatives Chaos. Hier können Referenten, die für digitale Innovationen brennen, eine Plattform finden, um mit neuen Diensten und Programmen zu experimentieren. Indem Journalistenschulen und Akademien solche Labore einrichten, werden sie selbst zu lernenden Organismen, die den Medienwandel mit prägen. Hier lernen Journalistenschüler nicht Stilform xy oder Technik z, sondern dass sich Medien verändern und dass es Spaß macht, Teil dieser Veränderung zu sein.

BWL-Vorlesung ist verzichtbar, aber es braucht unternehmerisches Denken

Angehende Journalisten sind dann gut auf ihren Beruf vorbereitet, wenn sie neben der vertieften Ausbildung in einem Medium über die Grundlagen anderer Bereiche Bescheid wissen. Auch wer später nicht selbst dreht, sollte mal in einer VJ-Einheit mit Kamera und Schnittprogramm gearbeitet haben. Nicht jeder muss zum Excel-Nerd werden, sollte aber wissen, wann ein datenjournalistisches Projekt sinnvoll ist und wann nicht. Eine viersemestrige BWL-Vorlesung ist verzichtbar, nicht aber ein Grundverständnis unternehmerischen Denkens. Das Talent zur Edelfeder muss mindestens im Paket mit gekonnter Recherche sowie dem Blick für außergewöhnliche Themen daherkommen.

Damit die vielen Anforderungen nicht direkt in den Burnout führen, ist Punkt drei entscheidend: Angehende Journalisten brauchen intensive und kontinuierliche Begleitung. Denn wer früher Fernsehredakteurin oder Tageszeitungsjournalist wurde, kann heute als Multimedia-Reporterin, Social-Media-Manager, Datenjournalistin (…) anheuern. Oder in Redaktion A zehn Dienste im Monat übernehmen und darüber hinaus Beiträge und Projekte für die Medienunternehmen B, C und D realisieren.

Mentoren können Orientierung bieten

So viele Möglichkeiten – da steigt der Bedarf an Orientierung. Eine von Ausbildern und Redaktionen vernachlässigte Aufgabe ist die der Personalentwicklung. Das heißt, mit Journalistenschülern immer wieder über ihre beruflichen Ziele zu sprechen: Für wen wollen sie arbeiten? Fest oder frei? Welche Themenschwerpunkte wollen sie setzen? Sehen sie sich in der Aktualität oder im Hintergrund? Sind sie Autoren oder Planer? Was liegt ihnen eher – die Arbeit in großer Runde oder in kleinen Teams? Und: Inwiefern verändern sich die Ziele mit dem Fortgang der Ausbildung?

Um sich darüber klar zu werden, was man will, helfen Sparringspartner. Deshalb sind Mentorenprogramme ein sinnvoller Baustein dieser Personalentwicklung. Ein guter Mentor zeigt Möglichkeiten auf, stellt kluge Fragen, setzt Denkanstöße, bremst oder schubst an. Und er motiviert, wenn junge Kollegen wieder mal durch alte Hasen und deren Abgesang auf den Journalismus verunsichert worden sind.

Multimediale Alleskönner bewegen sich im Mittelmaß

Journalistenausbildung endet nicht mit dem Tag der Zertifikatsvergabe. Sie wird im Berufsleben fortgesetzt. Der Chef mit Weitblick entwickelt seinen Nachwuchs strategisch weiter. Personalgespräche sind für ihn eine Selbstverständlichkeit, die Frage nach den persönlichen Zielen und das Fördern von Kompetenzen Standard. Redaktionen müssen junge Journalisten durch gezielte Weiterbildung und Tagungsbesuche unterstützen, damit sie sich ein Profil und ein Netzwerk aufbauen können. Denn wo die Ansprüche steigen, wird lebenslanges Lernen noch wichtiger.

Leider agieren Redaktionen zu oft nach dem Motto: ‚Der kommt von der Journalistenschule, der kann ja schon alles.‘ Aber es bringt junge Kollegen – und natürlich auch ihre Redaktionen – nicht weiter, wenn sie als Content-Schubser missbraucht werden, bis ihre Ambitionen verkümmern und ihr Wissen veraltet ist. Redaktionen dürfen junge Journalisten nicht nur ausquetschen. Sie müssen deren Potenzial nutzen, müssen sie machen lassen, ihnen Türen öffnen, statt sie an ihre Stühle festzubinden, und ihnen konstruktives Feedback geben. Nur so können sie die Freude an der Veränderung wach halten, ohne die jedes Medienunternehmen früher oder später Nutzer verliert.

Sophia, die Überfliegerin, ist Wunschdenken. Die Zukunft der Journalistenausbildung liegt in der Profilierung. Denn multimediale Alleskönner bewegen sich im Mittelmaß – Spezialisten, die vieles wissen, aber nicht alles können, bringen Spitzenleistung für Spitzenprodukte.


In der kommenden Woche schreibt an dieser Stelle Marcus Nicolini von der Journalisten-Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung über “10 unverzichtbare Werte für Journalisten von morgen”.

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