Zum Inhalt springen

„Facebook und all der Scheißdreck“ II: Wortschatz

Jan Klage wirft einen Blick auf die Digitalisierung unserer Sprache. Im zweiten Teil geht es darum, was „Facebook und all der Scheißdreck“ (Günter Grass) mit unserem Wortschatz anstellen.

Ein 72-seitiges Buch, das mit 236 Worten auskommt und trotzdem über zehn Millionen Käufer findet? Das muss nun endlich der lange erwartete Anfang vom Ende der Kultursprachen sein. Mag man meinen. Vor allem, wenn dieses Buch aus dem Mutterland der digitalen Sprachvereinfacher wie Facebook, Twitter & Co. kommt. Der amerikanische Kinderbuchautor Theodor Seuss Geisel, genannt Dr. Seuss, schrieb „The Cat In The Hat“ allerdings schon vor mehr als 50 Jahren. Ein spannendes Experiment, das Ergebnis einer Wette zwischen ihm und seinem Verleger war.

Aber wie schaut es heute aus? Wie viele Worte hat unsere Sprache in diesen digitalen Zeiten überhaupt noch? Sind wir schon auf Kinderbuchniveau angelangt oder liegen die linguistischen Verarmungspessimisten völlig falsch? Eine empirische Studie mit dem Titel „Reichtum und Armut der deutschen Sprache“ kam erst kürzlich zu dem Ergebnis, dass unsere Sprache dem ganz normalen Wandel unterliegt und sogar reicher ist als jemals zuvor. Die Studie wurde durchgeführt von der Deutschen Akademie für Dichtung und Sprache und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaft. Ein Team von Sprachforschern untersuchte dabei Unmengen deutscher geschriebener und redigierter Texte der letzten hundert Jahre und solche, die stark bearbeitet sind, wie beispielsweise Wikipedia. Dabei kam auch heraus, dass unser Wortschatz in den letzten 100 Jahren um unglaubliche 1,6 Millionen Wörter gewachsen ist. Das gilt zumindest für das geschriebene Wort.

Wie das kommt? Von selbst. Für ständig neue Entwicklungen und Gegenstände brauchen wir neue Begriffe, gerade was den technischen Bereich angeht oder das Internet. Warum nicht auf die ursprünglichen Termina zurückgreifen, sondern erst umständlich eindeutschen? Ist doch wesentlich einfacher, direkt bei „Gadget“ zu bleiben, anstatt „dieser Apparat mit technischen Spielereien“ zu sagen. Und nur weil wir nicht im Zwischennetz zwitschern wollen, sondern lieber im Internet twittern soll es nun schlecht um unsere Sprache bestellt sein? Gut, man könnte twittern auch umschreiben, um diesen lästigen Anglizismus zu vermeiden. Die „Verbreitung von telegrammartigen Nachrichten“ wäre eine wirklich beeindruckende Alternative.

Einfachheit ist überhaupt das Stichwort. Alle Kultursprachen entwickeln sich hin zu mehr Einfachheit. Englisch zum Beispiel hat lediglich einen Artikel „the“, im Italienischen, Französischen, Deutschen wird zwischen Nominativ und Akkusativ kaum noch unterschieden. Und dieser Prozess findet bereits seit Urzeiten statt und ist weder den Medien, noch dem Internet oder einer allgemeinen Verblödung der Jugend geschuldet. Neue Bereiche schaffen einfach neue Begriffe. Und eine Jugendsprache hat jede Generation.

Das Wichtigste für eine Sprache aber ist ihr Reichtum an Worten. Und unsere Sprache wächst und wächst. Aber wie viel Wachstum braucht eine Sprache und wie viele Wörter sind notwendig, um den Alltag zu bewältigen? Der Sprachwissenschaftler Alexander Arguelles hat einige Antworten darauf:

  • 250 Wörter bilden den inneren Kern einer Sprache, ohne den man keine Sätze bilden kann.
  • 750 Wörter machen die tägliche Sprache aus, werden also täglich von jeder Person in der Alltagskommunikation verwendet.
  • 2500 Wörter befähigen dich, alles auszudrücken, was du sagen möchtest, wenn auch mit komischen Umschreibungen. Ein Muttersprachler würde die Dinge häufig anders ausdrücken.
  • 5.000 Wörter entsprechen dem aktiven Vokabular eines ungebildeten Muttersprachlers.
  • 10.000 Wörter bilden den aktiven Wortschatz eines Muttersprachlers mit einem höheren Bildungsabschluss.
  • 20.000 Wörter umfasst der passive Wortschatz, den es benötigt, um Bücher von angesehenen Autoren zu lesen und komplett zu verstehen.

Liebe Verarmungspessimisten, auch in digitalen Zeiten macht ihr euch vielleicht unnötig Sorgen. Seht die Entwicklung unserer Sprache einfach als natürlichen Prozess und als Chance Zugriff auf noch mehr Wörter zu haben. Aber haltet auch mir bitte die „Chabos“ und „Babos“ vom Hals, denn das Leben ist viel zu geil um in schlechtem Deutsch beschrieben zu werden. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.


Alle Teile in der Übersicht:

Nach oben