Zum Inhalt springen

Eine Nase, Kreativität und Mut zur Narrerei

Eine Stadt riecht nach Brühwürfeln und fahndet nach der Quelle des Geruchs. Dabei hilft eine schnell zusammengepinnte Karte. Ein Vorbild für den effektvollen Einsatz von Google Maps.

Ich bin kein Entwickler und auch kein Designer, technisch eher durchschnittlich begabt. Und dennoch habe ich eine interaktive Karte entwickelt, die knapp 125.000 Aufrufe generierte. Mit einfachsten Mitteln und dem, was man einen Riecher nennt. Wir Journalisten brauchen vor allem eine Nase, etwas Kreativität und, naja, den Mut etwas scheinbar Unvernünftiges zu tun. Dann kann man selbst mit einfachsten Tools, die im Netz kostenfrei zur Verfügung stehen, eine Duftmarke setzen.

Der Protagonist: ein Suppenduft

Dabei hatte ich den eigentlichen Protagonisten nie gerochen: Den Brühwürfel-Duft, der am Morgen des 11. Juni 2013 der Anfang von etwas war, was später als Maggikalypse im oligatorischen Gedächtnis des Kölner Social Webs haften bleiben sollte. Ich saß im wohl-klimatisierten Mediapark, während die da draußen in den Straßen der Stadt dem beißenden Odem schutzlos ausgeliefert waren.

First Contact mit dem Social Web hatte die Duftwolke, die an diesem leicht diesigen Morgen über Köln waberte, mit dem Social Web Ranger Wibke Ladwig, die bereits um 7.10 Uhr das Fenster öffnete und sich als Nasen-Reporter auf Twitter betätigte:

Ungeklärt bleibt, warum Wibke beim Geruch von Brühwürfel an die Expertise des Kölner Stadtanzeigers dachte und diesen sogleich befragte. Klar ist aber, dass wir Kölner als Experten für Stadtgerüche gelten.

Viraler Effekt durch Social Tool

Was dann folgte, lässt sich so erzählen: Weitere Twitterer bemerkten den Geruch, als sie – aufmerksam geworden durch Wibke, die sie umgebende Luft einem Geruchstest unterzogen und Ähnliches bemerkten. Sie taten dabei etwas, was an Genialität kaum zu übertreffen ist (Kölner Social Web eben): Sie bestätigten nicht nur die Anwesenheit eines Suppenwürfel-Odeurs, sondern teilten ihren aktuellen Aufenthaltsort mit. Auf Facebook ganz ähnlich: Meldungen aus der ganzen Stadt trafen ein, meist mit Ortsangaben. Nach wenigen Minuten war klar: Es sind bereits genügend Orts-Daten vorhanden, um eine „Hier riecht Köln nach Brühwürfel“-Karte anzufertigen.


Köln Stinkekarte auf einer größeren Karte anzeigen

Alberne Dinge tun

Es ist wirklich albern an einem Morgen, an dem man sich eigentlich wesentlich Sinnvolleres vorgenommen hatte, über die Anwesenheit eines seltsamen, eigentlich appetitlichen, nun aber aufgrund seiner Konzentration dann doch eher unangenehmen Duftes, eine interaktive (Speise)-Karte anzufertgien. Und hätte ich gewusst, dass ich an diesem Tag auch nichts anderes mehr tun würde, dann hätte ich es vermutlich auch nicht getan. Doch dann war es bereits zu spät: Ich hatte eine schnelle Recherche gemacht und kein anderes Tool gefunden, mit dem ich schnell und einfach Pins auf einer Karte platzieren konnte und dabei andere ebenso dazu einladen konnte, wie Google Maps. Zugegebenermaßen nicht so das Nerd-Tool. Aber praktisch. Zudem ist man in der Lage die Pins selbst, sowie verschiedene Radien, Linien und weitere Markierungen einzusetzen. Absolut ausreichend für die Erstellung einer Stinkekarte.

Circa zehn Pins fügte ich selbst ein, dann bettete ich die Karte in einen Blogpost (WordPress, hier auch keine raketenwissenschaftlichen Vorkenntnisse notwendig) ein und teilte diesen via Social Media. Gleichzeitig lud ich dazu ein, sich zu beteiligen. Nach einer Stunde hatte ich etliche Kommentare unter dem Blogpost, Tipps auf Twitter, Kommentare auf Google Maps und knapp 50 weitere Markierungen auf der Karte. Und vor allem: Jede Menge Spaß gehabt. Und selten so viele Follower, Retweets und Mentions bekommen wie an diesem Tag.

Allerdings war die #maggikalypse nicht nur Spaß, sondern auch eine ganze Menge Arbeit: Ich tat praktisch nichts anderes mehr als Anfragen abzuarbeiten, Spammer auf der Karte zu löschen (einige Werbefuzzies aus Düsseldorf versuchten, sich mit Werbebotschaften in Form von Logos als Pins auf der Karte zu platzieren) und Webseiten nach dem aktuellen Stand der Untersuchung zu crawlen. Das was aber dabei heraus kam, war den Aufwand absolut wert.

Reichweite meets Innovation

Eine Kooperation mit dem Kölner Stadtanzeiger half ebenso, die Story erfolgreich zu machen: Er hatte die Karte als erste eingebettet und damit mit seiner Reichweite für Verbreitung gesorgt. Mittlerweile war auch die Feuerwehr informiert, die mit Einsatzwagen und Hubschrauber dem Liebstöckel-Duft auf der Spur war. Das war Grund genug für viele weitere Medien, über das Thema zu berichten und entweder die Karte direkt einzubetten oder einen Screenshot zu verwenden. Quelle: Internet.

Eine Version hat es dabei sogar auf Totholz geschafft:

Evolution eines Hashtags

Beim Social Web Ranger Wibke am frühen Morgen hieß es noch #Chemiezeugs, später dann #Chemiemief. Die Twitter-User suchten aber nach einem besseren Begriff. Nicht lange und sie waren bei #Maggiekoeln angekommen. Endstation der Hashtag-Evolution war dann die #maggiekalypse, die es auch in einige Überschriften schaffte. News-Ticker zur #Maggikalypse: gab es beim Kölner Stadtanzeiger und Bild.

Die Auflösung: Sotolon-Verpuffung

Die Auflösung um das Geheimnis des seltsamen Duftes erfolgte am nächsten Morgen. Wie sich zeigte, hatten die Kölner den richtigen Riecher. Südlich von Neuss war es zu einer Verpuffung des Duftstoffes Sotolon gekommen, der dem Liebstöckel den typischen Geruch verleiht. Wie der Verursacher der Verpuffung wohl auf den Medienrummel rund um die #Maggikalypse reagierte?

Und ich hatte den richtigen Riecher, das richtige Tool und einen der unterhaltsamsten und inspirierensten Tage in meiner Laufbahn. Danke, Maggikalypse!


Dieser Artikel basiert auf einem Blogpost von Thomas Riedel zur Maggikalypse.

Nach oben