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Die Medienbranche hat diese Generation nicht verdient

Frag nicht, was die Medienbranche für dich tun kann, sondern was du gegen die Medienbranche tun kannst. Andreas Grieß‘ Wutrede vom VOCER Innovation Day jetzt zum Nachlesen!

Vor zwei Jahren habe ich mein Studium „Online-Journalismus“ in Darmstadt abgeschlossen. Kann man das studieren? Ja, kann man. Es ist ein Praxisstudium und ich war darin unter anderem bei „Spiegel Online“, der „taz“ und dem Sport-Informations-Dienst (SID). Außerdem haben wir Praxisarbeiten mit zum Beispiel „Frankfurter Rundschau“ und „Hessischem Rundfunk“ gemacht. Ich traue mir und meinen Studienkollegen also durchaus einiges zu.

Nach dem Studium habe ich Bewerbungen für drei ausgeschriebene Stellen angefertigt. Die waren für – kein Witz – die „Frankfurter Rundschau“, die „Financial Times Deutschland“ und die dapd. Genommen wurde ich letztlich bei „Meedia“. Die sind zwar nicht pleite, wurden aber bekanntlich aufgekauft. Unter der neuen Führung beschloss man dann auch, dass es günstiger ist, ohne mich zu arbeiten. Man kann also in gewisser Hinsicht sagen, ich bin bereits mit 26 schon so etwas wie der Totengräber der Medienbranche. Warum also nicht aus der Not eine Tugend machen? Ich glaube: Die Geschäftsführer, Chefredakteure und Verleger der Medienbranche haben meine Generation nicht verdient!

Martin Giesler hat neulich in seinem Blog gefragt, wie er damit umgehen soll, Agenturmeldungen umschreiben zu müssen, während er doch eigentlich Formate wie Snowfall, Buzzfeed, oder NowThis News umsetzen will. Ganz ehrlich: Gute Frage.

Frust im Job

Wenn man überhaupt einen Job im Journalismus findet, ist der schnell sehr frustrierend für unsere Generation. Wenn man etwas Innovatives umsetzen will, kann man Bingo mit den Gründen spielen, warum das nicht klappen wird:

  • zwischen dpa-Meldungen keine Zeit dafür,
  • Vorgesetzter findet es doof,
  • oder der Klassiker: das fehlerbeladene CMS lässt eine Einbindung nicht zu.

Und gleichzeitig darf man sich anhören, wie der Chefredakteur in einer Redaktionssitzung oder schlimmer noch auf irgendeinem Medienforum fordert: „Wir wollen auch mal so etwas wie Snowfall haben.“ Ja, ich will auch „etwas“ wie Olivia Wilde haben. Aber ganz ehrlich: Das Mädel, mit dem ich ausgehe, kennt in Hollywood keiner und die hat trotzdem einiges drauf. Oder anders gesagt: Liebe Verleger: Mal darüber nachgedacht, warum die DFB-Elf immer zweite hinter Spanien wird, also hinter dem Team, dessen Spielsystem sie ständig mit einem Jahr Verzögerung kopiert? Aber Jogi Löw lässt dabei wenigstens die jungen Talente ran. In der Medienszene ist die Situation eine andere.

Was können wir?

  • Wir sprechen laut Schulbildung zwei oder mehr Fremdsprachen – Programmiersprachen nicht mit eingerechnet.
  • Wir können mit Geräten umgehen, die Verleger noch als „potentiell monetarisierbare Endgeräte, für deren publizistisch-ökonomischen Nutzen eine externe Agentur ein mittelfristiges auf die entsprechenden Verlagsstrukturen maßgeschneidertes Konzept entwickeln soll“ bezeichnen.
  • Wir erschaffen noch im Studium Projekte, die für den Grimme Online Award nominiert werden.
  • Wir können die Reichweite vieler Texte kleinerer Medien allein dadurch verdoppeln, dass wir sie mit unseren Twitter-Followern teilen.

Und was ist der Dank?

  • Wir leihen uns noch mit Mitte Zwanzig Geld von den Eltern, weil wir in unbezahlten Praktika hängen
  • Wir bekommen nach Praxisstudium und besagten Praktika erst mal nur ein nicht mal nach Tarif bezahltes Volontariat, in dem jedoch nicht wir Fortbildung erhalten, sondern wir euch zeigen, wie das CMS funktioniert.
  • Gott sei Dank, bekommen wir meistens keine Festanstellung, sonst müssten wir noch in die Rentenkasse einzahlen, die dieselbe Generation gerade plündert

Ich halte mich für einen durchaus guten Journalisten. Und ich sehe mich mit 26 auch nicht mehr als jung an. Vielleicht unterscheidet uns das. Wir machen eher Abi, sind eher mit dem Studium fertig, also wollen wir auch eher im Leben stehen. Im Fußball wirst du mit 26 als Sportinvalide aussortiert. Meine Abikollegen sind zum Teil verheiratet und haben Kinder. Die können das bezahlen. Also die Abikollegen jetzt, die Fußballer ja sowieso.

Das Alte muss weg

Die Branche ist so verschlafen und Vitamin-B-gesteuert, dass es eigentlich egal ist, ob man streng links ist oder streng marktliberal, man muss zu dem Schluss kommen: Das Alte muss weg. Deshalb sollte die Politik nicht Verlage fördern, sondern Journalisten. Kein Leistungsschutzrecht, sondern bessere Gründerzuschüsse. Keine vereinfachte Pressefusionen, sondern eine unkomplizierte und solide finanzierte KSK. Und auch über die Verteilung der Rundfunkbeiträge sollte man reden: Ein Günther Jauch sind umgerechnet alle Lokalblogs Deutschlands und ich frage ernsthaft, wer mehr zum politischen Diskurs beiträgt.

Doch auch wir selbst sind gefragt. Der Medienwandel ist kein Naturereignis, er wird von Menschen gemacht. Und deshalb ist er auch keine langsame Evolution, in der diejenigen, die sich nicht anpassen, aussterben. Er ist eine Revolution, wo die Sieger die Verlierer enthaupten. Ich muss hier noch einmal betonen:  Ich bin freilich gegen Gewalt und dies war kein Aufruf dazu!

Dennoch. An alle „Nachwuchsjournalisten“: Lasst dies unser Motto sein: Frag nicht, was die Medienbranche für dich tun kann, sondern was du gegen die Medienbranche tun kannst. Die Dinosaurier hatten ihre Chance. Seien wir nicht John Hammond (das ist der aus Jurassic Park), sondern der Meteorit. Erschaffen wir neue Publikationen, neue Apps, sogar neue Print-Magazine! Ein Studienkollege hat letzteres getan.

Wir sollten es selbst tun

Wir sollten unseren Arbeitgeber selbst erschaffen. Und wenn wir eine gute Idee haben, sollten wir sie jetzt umsetzen. Ich betone: Wir selbst sollten das tun und wir sollten es jetzt tun. Mark Zuckerberg hat auch nicht erst noch ein unbezahltes Praktikum bei MySpace gemacht, bevor er seine „Website“ aufsetzte.

Also sorgen wir dafür, dass diejenigen, die uns nicht wollen oder nicht machen lassen, in ein paar Jahren bereuen, dass sie sich uns in den Weg gestellt haben. Einer der Gründer von WhatsApp wurde bei Facebook für einen Job abgelehnt. Nun zahlte Facebook für sein „Baby“ 19 Milliarden Dollar. Fuck off!

Bleibt nur eine Frage. Und die kann ich leider nicht beantworten:

Wer zahlt uns jetzt die Miete?


social-media-week-hamburg Diese Wutrede hielt Andreas Grieß am VOCER Innovation Day im Rahmen der Social Media Week Hamburg. VOCER war erneut Medienpartner der Veranstaltungswoche und mit mehreren Events vor Ort dabei.

Anschauen ab Minute 27’40:

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