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Die Geschichte des Herrenwitzes ist eine Geschichte voller Missverständnisse

Medienanwalt Höcker weiß, dass es bei den meisten Geschichten keine Wahrheit gibt, auf die sich alle einigen können. In seiner Glosse schlüpft er in die Rolle eines fiktiven Beobachters, der dabei war an der Hotelbar.

Rechtlicher Hinweis: Die Personen, Dialoge und Gedanken in diesem Stück sind zum Teil frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit dem weitgehend wortidentischen Artikel von Laura Himmelreich über Rainer Brüderle in der Print-Ausgabe des „Stern“ vom 24. Januar 2013 ist alles andere als zufällig.


Für mich ist es nicht immer angenehm, 63 Jahre alt zu sein, ein Mann und Politikjournalist. Das liegt an Frauen wie Laura Himmelreich. Es war vor einem guten Jahr, in der Nacht vor dem Dreikönigstreffen in Stuttgart. Wie jedes Jahr stehen Journalisten und Liberale an der Bar des Hotels Maritim zusammen. Rainer Brüderle hat ein Glas Weißwein in der Hand. Ich auch und es ist nicht unser erstes. Brüderle will von mir wissen, wie mir seine Rede vor ein paar Stunden auf dem Landesparteitag gefallen hat.

„Naja, Sie haben Rösler die Show gestohlen. Besser als Sie kann er morgen kaum werden“, sage ich.

„Allerdings“, nuschelt Brüderle zufrieden in sein Glas hinein. Jetzt wird es interessant, denke ich, denn es heißt, Rösler persönlich habe verhindert, dass Brüderle auch auf dem Dreikönigstreffen sprechen darf.

„Warum will Rösler nicht, dass Sie morgen sprechen?“, frage ich beiläufig und gucke möglichst harmlos. Ich wechsle in einen vertraulich-ironischen Tonfall und zwinkere Brüderle zu: „Hat er wirklich solche Angst vor Ihnen?“ Brüderle lächelt. Je weinseliger er ist, desto redseliger wird er. Das weiß man. Deshalb sitze ich hier. Außerdem kennt er mich seit Jahrzehnten und weiß, dass er offen mit mir sprechen kann. Was in der Hotelbar passiert, bleibt in der Hotelbar. Da kann er mir vertrauen – Journalistenehre!

Brüderle seufzt: „Ach wissen Sie, der Rösler… der Röösler… Was ich Ihnen jetzt sage, behalten Sie aber für sich!“ Während Brüderle noch einen spannungssteigernden Schluck Weißwein zu sich nimmt, trippelt von rechts eine blonde junge Frau heran.

„Herr Brüderle!“, sagt sie einen Tick zu schrill und blickt ihn investigativ fordernd an: „Wie finden Sie es denn, im fortgeschrittenen Alter zum Hoffnungsträger aufzusteigen?“

Verdammte Scheiße, sie hat’s verbockt, die Anfängerin! Dabei hatte ich ihn gerade soweit. Brüderle und ich sind im selben Alter. Mir ist sofort klar, dass er solche Bemerkungen hasst. Doch er überspielt seinen Ärger und gibt den Ball gekonnt und altersmilde mit einer angemessen dosierten Spitze zurück:

„Ach, das Alter. Sie würde ich jedenfalls auf 28 Jahre schätzen. Habe ich Recht? Mit Frauen in dem Alter kenne ich mich aus.“

Haha, gut gekontert, freue ich mich über diese Ehrenrettung für uns ältere Herrschaften. Tja, man sollte die Alten nicht unterschätzen, Kleines! Jetzt wirst Du ja wohl merken, dass Du störst, also lass das hier mal den Papa machen! Doch meine Hoffnung wird sofort enttäuscht:

„Was genau meinten Sie, als Sie in Ihrer Rede vorhin sagten, dass Deutschland sich nicht schnell genug verändert?“ bohrt die „Stern“-Redakteurin unbeirrt weiter und rückt Brüderle noch einen Schritt näher auf die Pelle. Puh, es ist halb eins, wir stehen an einer Theke, haben jeder eine Flasche Wein intus und die will hier staatstragende Reden hören. Das kann doch nicht wahr sein!

„Ach, lassen wir doch die große Politik“, nimmt Brüderle mir die Worte aus dem Mund und lächelt sanfter, als ich es an seiner Stelle noch könnte. „Reden wir lieber über Sie: Woher kommen Sie?“

„München“, antwortet die Journalistin schmallippig.

Brüderle blickt auf die Cola light in ihrer Hand: „In München sind die Frauen doch eigentlich trinkfest“ füllt er die Stille mit geübtem Smalltalk. Die Angesprochene antwortet, dass sie privat, zum Beispiel auf dem Oktoberfest, durchaus schon einmal ein Bier trinke – wenn es passt. Ich muss schmunzeln. Brüderle auch. Sein Blick wandert von der Cola in ihrer Hand über ihren Busen hinweg nach oben zu ihren Augen. Mein Blick bleibt auf halber Strecke hängen.

„Sie können ein Dirndl auch ausfüllen“, reitet ihn jetzt ein wenig der Teufel. Es ist offensichtlich, dass die ebenso übereifrige wie ungeschickte Reporterin ihn nervt, er will sie ein bisschen provozieren aber irgendwie findet er sie wohl auch halbwegs attraktiv. Brüderle scheint sich mit der Situation zu arrangieren. Schlecht für mich. Ich hätte gerne mehr über sein Verhältnis zu Rösler erfahren. Doch die Dame will einfach nicht gehen. Ich überbrücke die Wartezeit mit einem Riesling und höre Brüderle sagen:

„Ich möchte, dass Sie meine Tanzkarte annehmen!“

Großartig! Er veräppelt sie weiter. Das junge Ding weiß doch gar nicht mehr, was Tanzkarten waren.

„Herr Brüderle!“, weist sie ihn mit durchdringend hoher Stimme zurecht, „Sie sind Politiker, ich bin Journalistin!“

So so, Journalistin, amüsiere ich mich still. Ich würde sagen, bis dahin ist es noch ein weiter Weg!

„Politiker verfallen doch alle Journalistinnen“, legt der alte Büttenredner Brüderle noch einen drauf. 

„Ich finde es besser, wir halten das hier professionell“, entgegnet sie. Brüderle sieht die Journalistin lange nachdenklich an und sagt leise: „Am Ende sind wir alle nur Menschen“.

So ist es. Vor allem nachts um eins an einer Hotelbar.

„Warum glauben Sie eigentlich, nach all den Jahren plötzlich so beliebt geworden zu sein?“, versucht Frau Himmelreich es jetzt doch noch menscheln zu lassen.

„Weil ich der Beste bin.“

Jawoll! Er nimmt Dich nicht ernst und das völlig zu Recht. Hoffentlich begreifst Du das jetzt und lässt mich endlich meine Arbeit als professionell menschlicher Journalist machen.

Aber wieder werde ich enttäuscht. Brüderles Sprecherin tippt ihm an die Schulter. Er verabschiedet sich von mir. Dann beugt er sich zu der Cola-Light-Trinkerin herunter, so als wolle er ihr noch etwas ins Ohr flüstern. Sie aber weicht plötzlich zurück und hält in einer theatralischen Geste ihre Hände vor ihren Körper. Brüderles Sprecherin missversteht die Situation und eilt von hinten heran:

„Herr Brüderle!“, ruft sie streng. Sie führt ihn aus der Bar. Zu der Journalistin sagt sie: „Das tut mir leid.“ Zu ihm sagt sie: „Zeit fürs Bett.“

Laura Himmelreich sollte ein ganzes Jahr brauchen, um ihre „ganz eigenen Erfahrungen mit dem Mann, dem die FDP jetzt folgt“ zu verarbeiten.

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