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Unbound verlegt Bücher, die Autoren schreiben wollen

John Michinson von Unbound will Autoren helfen, Bücher zu schreiben, die nicht von Marketingabteilungen bestimmt werden.

John Mitchinson kannte mit seiner langjährigen Erfahrung als britischer Autor und Verleger die Probleme des Verlagsgeschäfts aus mehreren Perspektiven, als er 2011 die unkonventionelle Verlagsplattform Unbound gründete. Im Interview erläutert Michinson, wie Unbound Autoren helfen will, Bücher zu schreiben, die nicht von Marketingabteilungen bestimmt werden, und wie Autoren auf der Plattform Bücher schneller auf den Markt bringen und dabei die Leser einbinden können.

VOCER: Wie würden Sie jemandem, der nur traditionelle Verlage kennt, das Unbound Modell erklären?

John Mitchinson: Das Konzept des Crowdfunding ist der beste Vergleich, aber es gibt signifikante Unterschiede. Anders als Kickstarter kümmern wir uns nur um Bücher. Und wir nutzen nicht nur Crowdfunding, um Autoren und Leser unmittelbar zusammen zu bringen, sondern wir kuratieren auch. Wir wählen Buchprojekte aus und wir kümmern uns um Druck, Vertrieb und Marketing der Bücher, die erfolgreich finanziert werden. Wir sind also ein Zwitter zwischen einer reinen Plattform und einem traditionellen Verlag.

Welche Idee steckt hinter diesem Modell?

Wir wollten eine engere Beziehung zwischen Leser und Autor schaffen, aber wir wollten für beide Seiten auch die Technologie besser ausnutzen. Wir hatten das Gefühl, dass wir zwar Crowdfunding-Plattformen mögen und dass sie einen großen Durchbruch geschafft haben, aber dass es dabei immer Schwachstellen für Autoren gibt. Die Plattformen verschaffen den Autoren das Geld, aber dann werden sie mit dem Geld alleine gelassen – ohne die nötigen Kenntnisse um ein Buch zu produzieren.

Gibt Ihr kuratiertes Modell den Autoren mehr Akzeptanz?

Ich glaube, es ist wichtig, dass wir die Bücher ebenso über traditionelle Kanäle vermarkten können wie direkt über die Leser, die ein Buchprojekt finanziert haben. Die Autoren bekommen also die gleiche Verbreitung, die sie über einen herkömmlichen Verlag bekämen, aber sie bekommen auch einen spannenden direkten Kontakt zu ihren Unterstützern. Das Geld, das wir in der Finanzierungsphase hereinholen, ermöglicht den Büchern, ein breiteres Publikum zu finden. Es ist ein Übergangsmodell, ein Hybridmodell, halb traditionelles Kuratieren und halb sehr untraditionelles Crowdfunding.

Öffnen Sie die Tore des Lektorats, indem sie die Leser einbeziehen?

Wir decken die meisten grundsätzliche Bereiche ab, die auch ein traditioneller Verlag abdeckt, aber wir nutzen auch sehr viel unerforschtes Terrain aus, wir schaffen eine direkte Beziehung zu den Lesern vor allem über unsere eigenen Website und die sozialen Netzwerke. Ich glaube, dass wir die Tore öffnen, indem wir die Leser in den Prozess des Buchverlegens sehr viel früher einbeziehen.

Was suchen Sie in einem Autor? 

Geschmack, Urteilsvermögen, Fähigkeiten, alle diese Dinge in einem verlegerischen Prozess sind immer noch wichtig. Aber wenn wir ein Projekt übernehmen, stellen wir auch die Frage nach dem Netzwerk des Autors, dem Grad seiner Vernetzung, seiner Fähigkeit, soziale Netzwerke effektiv einzusetzen. Es gibt eine ganze Reihe von Autoren, die wir unter Vertrag nehmen, und denen wir Schulungen anbieten, damit sie lernen, Twitter und andere Netzwerke zu nutzen.

Was können Sie einem Autor anbieten?

Unser Modell ist ein Joint Venture zwischen uns und dem Autor. Je mehr der Autor bereit ist, zu investieren, desto größer ist der Ertrag. Wir teilen den Gewinn 50:50, also sind die Tantiemen des Autors viel größer, wenn wir Gewinn machen. Ich glaube, wir können einem Autor verlegerisch die Aufmerksamkeit bieten, die in traditionellen Verlagen heutzutage immer seltener wird, aber wir öffnen auch Türen zu erweiterten Märkten. Wir verkaufen auch internationale Rechte, obwohl wir ein kleines Team sind.

Kann Unbound Bücher zu aktuellen Themen schneller auf den Markt zu bringen?

Das ist einer der großen Vorteile unseres Modells. Sie können ein Projekt ziemlich unmittelbar starten. Wir brauchen nicht sehr lange um Projekte auf der Seite einzustellen und die ersten Unterstützer zu finden. Wir haben im vergangenen Jahr ein Buch des Journalisten Peter Jukes mit dem Titel „The Fall of the House of Murdoch“ veröffentlicht. Wir konnten offensichtlich von der Unmittelbarkeit der Nachrichten zehren, um zahlende Unterstützung für das Buch zu finden. Das hieß nicht, dass das Buch schon fertig war, aber es wurde ziemlich bald nach unserem Finanzierungsziel fertig.

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Aber verlängert das Einbeziehen der Leser nicht den verlegerischen Prozess?

Ja, deshalb kommt es darauf an, die Reaktionen der Leser in Echtzeit zu bekommen.  Mit das Befriedigendste dabei ist, dass man mit den Lesern in dem Moment zusammen kommt, wo sie sich am meisten für ein bestimmtes Thema interessieren. Man kann diesem Moment nutzen und – um diesen fürchterlichen Begriff zu benutzen – monetarisieren und in konkrete finanzielle Unterstützung verwandeln. Es war immer ein großes Problem für Buchverlage, dass sie den aktuellen Ereignissen sechs Monate hinterher hinken.

Wir sagen den Leuten, dass das Buch natürlich erst geschrieben werden muss und dass es drei, vier oder fünf Monate dauert, bis es erscheint, aber dass jetzt die Zeit ist, um sicher zu stellen, dass es wirklich realisiert wird, und um sich an der Debatte im Netz zu beteiligen. Jeder Autor hat einen Bereich auf der Website, den wir „Werkstatt“ nennen. Das ist ein Ort, wo Autoren ihre eigene Nutzerforen verwalten und erste Kapitel und Entwürfe ausbreiten können. Sie können hier direkt mit ihren Lesern kommunizieren. Ich glaube, dass dies die Beziehung zwischen einem Autor und seinen Lesern erheblich verändern kann.

Das erste Buch, das Unbound 2011 veröffentlichte, war „Evil Machines“ von Terry Jones von Monty Python. Warum haben Sie einen berühmten Autor ausgewählt, warum keinen Newcomer?

Neue Autoren auf dem Markt einzuführen, ist immer ein sehr schwieriges Geschäft gewesen. Wir wollten neue Wege der Finanzierung und des Verhältnisses zwischen Autoren und Lesern ausprobieren und wir waren der Meinung, dass wir dafür vom ersten Tag an eine Mischung zwischen bekannten und neuen Autoren bräuchten. Wenn wir nur unbekannte Autoren gehabt hätten, wäre es sehr schwer geworden, auf dem ohnehin sehr wettbewerbsintensiven Buchmarkt die nötige Zugkraft zu entwickeln.

Terry stand außerdem sinnbildlich dafür, dass wir das Ganze nicht nur für Autoren machten, die Probleme haben, einen Verlag zu finden. Die Wahrheit ist, dass inzwischen viele etablierte Autoren – diejenigen, die man den Mittelbau nennen könnte, die nicht 100.000, vielleicht aber locker 20.000 Exemplare pro Jahr verkaufen – es auch immer schwieriger finden, einen Verlag zu finden, der ihnen einen Vorschuss zahlt und sie in ihr Sortiment aufnimmt.

War das auch bei Terry Jones der Fall? 

In der Tat traf das auf Terrys Buch zu. Er war von drei klassischen Verlagen abgelehnt worden, weil sie nicht wussten, wo sie das Buch im Laden platzieren sollten. Es war nicht wirklich klar, ob es ein Kinderbuch oder ein Buch für Erwachsene sein sollte. Tatsächlich ist es eine wundervolle Sammlung von Erzählungen, die wie die Geschichten von Roald Dahl Kinder und Erwachsene anzieht. Es ist das Buch, dass der Autor schreiben wollte.

Das ist ein weiterer wichtiger Aspekt dessen, was wir tun. Wir wollen Autoren ermöglichen, die Bücher zu schreiben, die sie wirklich schreiben wollen. Nicht die Bücher, die sich laut Marketingabteilungen verkaufen lassen. Der Punkt war: Die Öffentlichkeit soll entscheiden. Lassen wir die Leser doch entscheiden, ob dies ein Buch ist, dass sie unterstützen und lesen wollen. Terrys Buch war das erste Buch auf der Plattform und das erste, das finanziert wurde. Und ja, er ist ein bekannter Autor, aber er ist nicht so bekannt – unglaublicherweise – dass er einfach in ein Verlagshaus marschieren könnte und einen Vertrag bekäme. Das war der Moment, in dem wir entschieden, dass wir eine wichtige Gelegenheit ausnutzen konnten.

Unbound Bücher sehen wunderschön aus – wie wichtig ist bibliografische Ästhetik im digitalen Zeitalter? Ist dies vielleicht der einzige Vorteil, den gedruckte Bücher noch gegenüber Ebooks haben? 

Nun ja, ich glaube, dass ist ein entscheidender Vorteil. Die Ästhetik von Büchern war, ist und wird immer wichtig sein und wird immer einen Platz schaffen, in dem gedruckte Bücher überleben können. Ein Drittel aller Bücher sind Geschenke. Ein gedrucktes Buch zu verschenken, das wunderschön gestaltet ist, wird einem Amazon Gutschein immer überlegen sein. Uns treibt also nicht nur Papier-Fetischismus an. Wir glauben wirklich, dass das gedruckte Buch ein Stück durchdachte Technologie ist, die immer noch funktioniert. Die Leute reagieren darauf immer noch positiv.

Was ist mit digitaler Ästhetik?

Als Teil unseres Modells lieben wir auch das Digitale. Wir glauben, dass wenn man ein Buch kauft, man es in jeder Form erhalten sollte, die man will. Wenn man ein gebundenes Buch auf unsere Website unterstützt, dann erhält man auch die digitale Ausgabe. Und wir verbringen immer mehr Zeit mit dem, was man die Ästhetik digitaler Bücher nennen könnte. Wie designen und präsentieren wir sie, so dass sie mehr sind als nur dumme Textdateien.

Ästhetik, Lesbarkeit, Klarheit, all das sind wichtige Faktoren, die bestimmen, warum ein Buch ein angenehmeres Leseerlebnis bietet als ein anderes. Die Branche wird diese Fähigkeiten vermissen, wenn wir sie verlieren. Am Ende ist ein gut gestaltetes Buch auch nicht viel teurer als ein schlecht gestaltetes. Wir nutzen inzwischen viele Bibliographen, die darauf brennen, Bücher sowohl gedruckt als auch digital zu gestalten.

Sind kleine Start-ups wie Unbound die Zukunft des Buchverlegens?

Ich glaube, dass sie ein wichtiger Teil der Zukunft sind. Es gibt eine Menge tolle verlegerische Tätigkeit in Häusern wie Random oder Penguin. Aber wenn man nach Innovationen sucht – und diese sind es, die alle Industrien am Leben erhalten – dann findet man sie eher in kleineren Unternehmen als in den großen Verlagsgruppen. Kreativindustrien leben von kleinen Teams hochmotivierter Leute. In Großbritannien kommt Innovation aus den kleineren bis mittelgroßen Unternehmen. Verlage wie Canongate, Atlantic, Faber und Profile – das sind wohl die Innovationsschmieden mit den interessantesten Projekten und sie sind auch die Verlage mit den besten Beziehungen zu ihren Autoren. In einer digitalen Welt ist auch absolut möglich, eine internationale Reichweite zu entwickeln, auch wenn man nur ein kleines Start-up ist. Wenn Sie mich fragen, wo ich lieber arbeiten möchte – natürlich in einem kleinen Start-up.


 

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