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Blutarmut als Konzept

G+J schrumpft seine Redaktionen gesund. Doch wie gesund ist eigentlich gesund?

Brigitte ist krank. Unheilbar krank, wenn man den behandelnden Ärzten folgen möchte. Sonst würden sie sich nicht auf die Behandlung von Symptomen beschränken. Aderlass heißt die in der Familie beliebte Therapie, die Linderung verschaffen soll, aber vielen Freunden und Bekannten die Schweißperlen auf die Stirn treibt. Ein seit der Antike bekanntes Heilverfahren, bei dem Patienten erhebliche Mengen Blut entnommen werden und bei dem belegt ist, dass es nur bei wenigen Krankheitsbildern eine positive Wirkung hat.

Aber nicht nur Brigitte ist krank. Eine ganze Gattung liegt flach und lässt sich regelmäßig selbst zur Ader. Die Aussichten auf eine nachhaltige Heilung stehen bislang schlecht. Einige sind schon von uns gegangen, andere schicken sich bereits an, bald zu folgen. Zugegebenermaßen überrascht das aktuelle Krankheitsbild der Verlagsbranche schon lange nicht mehr. Seit die Finanzierung von Medien erheblich komplizierter geworden ist, weil mediale Inhalte auf neuen Verbreitungswegen und zum Teil auch unentgeltlich, ihr Publikum erreichen, ist daraus eine Art Berufskrankheit geworden. Die Konkurrenz um die Aufmerksamkeit der Leser ist größer geworden und das Anzeigengeschäft läuft längst nicht mehr so gut wie damals, als große Unternehmen um Werbung in Printmedien nicht herumkamen. Eigentlich kennt jeder Medienschaffende in diesem Land irgendeine Lösung dieses Problems – Was aber fehlt, ist die große Idee, mit der nachweislich alles gut wird. Gäbe es die, müssten Verlage wie jetzt Gruner + Jahr nicht Kosteneinsparungen zum Konzept erheben und Leser würden tun, was ihr Job ist: journalistische Qualitätsprodukte kaufen und nicht ständig fremdgehen.

„Jalag 2010“ reloaded

Gruner + Jahr will und muss sparen. Und damit die staunende Fachöffentlichkeit die damit einhergehenden Umstrukturierungen und Entlassungen nicht in den falschen Hals bekommt, werden sie zu wegweisenden strategischen Entscheidungen auf dem Weg zum „führenden Haus der Inhalte“ deklariert. Einem offensichtlich steinigen Weg, den insgesamt 17 schreibende Redakteure bei Geo und Brigitte nicht mehr mitgehen dürfen. Eine zentrale Chefredaktion, eine Artdirektion, ein Textchef und ein CvD sind künftig redaktionell für die Geo-Titel zuständig. Inhalte, Produktionen und Dienstleistungen wird man dabei extern einkaufen. Der Anteil an selbst geschriebenen Geschichten wird weiter sinken. Die zentrale Bildredaktion wird aufgelöst und die Prozesse bei Dokumentation, Schlussredaktion und Schlussgrafik deutlich verschlankt. Externe Dienstleister sollen auch hier die anfallenden Arbeiten erledigen. Die Abteilungen Bild-Forensik, Kartographie, Titel-Grafik und Info-Grafik werden geschlossen.

Nicht anders bei Brigitte. Derzeit sind dort in der Printredaktion (Brigitte, Brigitte Woman, Brigitte Mom) noch 71 Mitarbeiter beschäftigt. Dazu kommen 19 angestellte Online-Redakteure, die nur für die digitalen Kanäle produzieren. In Zukunft werden die Titel der Gruppe von einem sogenannten „Kompetenzteam“ produziert, das Textangebote freier Journalisten prüft und sie journalistisch beurteilt. Damit – so die amtierende Chefredakteurin der Brigitte – will man sich „eine größere Vielfalt an Ideen und Wissen“ ins Blatt holen. Dabei werde man am „hohen journalistischen Anspruch“ festhalten, zugleich aber „agiler, flexibler und innovativer“ werden. Schöne neue Welt, mag man da denken. Aber die zuständige Publisherin wird da schon etwas deutlicher: „Wir stellen altbekannte Strukturen auf den Kopf und wir sparen damit Geld“.

Kann man machen, ist aber bei näherer Betrachtung alter Wein in neuen Schläuchen. Hat der Jahreszeiten Verlag aus Hamburg bei der Umsetzung seines Programms „Jalag 2010“ nicht die gleiche Argumentation geführt? Er hat. Und dafür steht der Verfasser dieser Zeilen. Die veränderten Redaktionsmodelle von Jahreszeiten Verlag und Gruner + Jahr sind identisch und zeitgemäß. Vor allem, wenn man sich die Frage stellt, wie man heute – rund 60 Jahre nach der Geburtsstunde von Zeitschriften wie Brigitte oder Für Sie – eine Neugründung in diesem Segment aufstellen und ausstatten würde. Warum aber übernimmt ein international tätiges und innovatives Verlagshaus wie Gruner + Jahr ein vier Jahre altes und immer noch umstrittenes Umstrukturierungskonzept eines mittelständischen Mitbewerbers? Weil es praktikabel ist. Und weil offensichtlich immer noch keine bessere Lösung in Sicht ist. Aber warum konnte mit der Für Sie eine erfolgreiche Mitbewerberin aus dem Jahreszeiten Verlag im Segment der 14-täglichen Frauenzeitschriften über viele Jahre auf journalistischer Augenhöhe mit der Brigitte bleiben, die mit einem Viertel des Redaktionspersonals auskam? Weil man bei Gruner + Jahr offensichtlich versäumt hatte, die Redaktionsstrukturen und -prozesse regelmäßig auf den Prüfstand der Möglichkeiten zu stellen. Um so härter treffen die personellen Maßnahmen nun.

Der Verlag der Gegenwart

„Jalag 2010“ war als ein innovatives und strukturelles Konzept für die nächsten fünf bis zehn Jahre angelegt. Der Verlag änderte damals die Art, wie man Zeitschriften macht, grundlegend. Seitdem ist der Jalag in der Hauptsache ein Aggregator und Organisator, dessen „Blattmacherteams“ von außen kommende journalistische Texte einwerben, prüfen und nebeneinander arrangieren. Ein Schritt, so radikal, wie ihn kein Verlag zuvor unternommen hatte. Wettbewerber hatten Not leidende Zeitschriften eingestellt. Andere hatten für Themen, die in mehreren Blättern eines Unternehmens vorkamen, Redaktionspools gebildet. Eine ebenso umstrittene Maßnahme, weil bei beiden Modellen bis heute infrage steht, ob die Marke der Zeitschrift, ihr Wert, ihre Eigenheit, manchmal auch ihre Einzigartigkeit darunter leidet. Das Schreiben übernehmen beim Jalag seitdem vor allem freie Journalisten, die schlechter bezahlt werden als fest angestellte Schreiber. Danach werden sie wohl auch ihre Zeit für Recherchen bemessen. Stehen selbstgeschriebene Geschichten also doch für eine höhere Qualität und damit auch für höhere Abverkäufe? Die verkaufte Auflage ist eine der Währungen, in denen Qualität gemessen wird, weil es keine rein publizistische Währung gibt. Würde man den Erfolg von „Jalag 2010“ daran messen, müsste man in der Rückschau von einer folgenschweren und schädlichen Entscheidung sprechen. Eine unzulässige Schlussfolgerung, denn fast alle deutschen Zeitschriftentitel sind seitdem dem Auflagentrend der Jalag Titel gefolgt.

Zeit für ein Zwischenfazit. Die von Jalag und Gruner + Jahr vorgelegten Redaktionskonzepte mögen der effizienten Verwaltung einer Medienmarke in schwierigen Zeiten dienen, eine bahnbrechende verlegerische Idee fehlt dabei allerdings immer noch. Und so bleibt auch der Umbau bei Gruner + Jahr, der die Jalag-Blaupause mit einer Verspätung von vier Jahren adaptiert, eigentlich nur ein Kostensenkungsprogramm, das mangels wegweisender Ideen zum Konzept erhoben wurde. Beide Verlage geben mit ihren Neuaufstellungen allenfalls eine Antwort darauf, wie sich Magazine gegenwärtig produzieren lassen, bleiben aber die lange überfällige Antwort nach dem Verlag der Zukunft immer noch schuldig. Unabhängig von der Qualitätsdiskussion ist der Ansatz von Gruner + Jahr, an einem „Haus der Inhalte“ festhalten zu wollen aber durchaus richtungweisend.

Der Verlag der Zukunft

Die Strömungsgeschwindigkeit im Markt der Medien hat dramatisch zugenommen und wird noch weiter steigen. Für die werbungtreibenden Unternehmen schaffen innovative Informationstechnologien eine Fülle neuer Möglichkeiten, Kundenkontakte selbst herzustellen und aufrechtzuerhalten. Wer sich dazu noch die Entwicklung der IVW-Zahlen der meisten Printprodukte betrachtet, gewinnt sehr schnell den Eindruck, dass Papier als Trägermedium ausgedient haben könnte. Auch wenn es bislang immer noch sehr wenige digitale Medien-Geschäftsmodelle rund um den Qualitätsjournalismus im Netz gibt, will aber immer noch eine große Anzahl von Menschen auf mehrkanalige Angebote inklusive Print nicht verzichten. Spannende Geschichten, interessanten Neuigkeiten und bewegenden Hintergründe haben immer noch ihren Markt. Über den Erfolg oder Misserfolg von Verlagen wird nicht die Glaubensfrage digital oder print entscheiden, sondern die Aufstellung und das Selbstverständnis der Verlage. Eine große Rolle dabei wird die Fähigkeit zur agilen Reaktion einnehmen. Der Gedanke hinter agiler Arbeitsweise ist so einfach wie zwingend: Schließe alle Schubladen, denke immer wieder anders und verknüpfe die vorhandenen Kräfte je nach Aufgabe immer wieder zu neuen Teams – themenkompetent und vor allem kanalübergreifend, denn der Wandel ist nicht mehr umkehrbar: Wer unterwegs ist, möchte überall und sofort zugreifen können. Mobilität ist ein gesellschaftlicher Trend, dem die Verlagsbranche folgen muss. Der Verlag der Zukunft wird seine Kunden kontinuierlich, konsistent und bedarfsgerecht über alle Mediennutzungssituationen hinweg begleiten. Mit seinen vernetzten Medienangeboten wird er dabei der Realität der Medienkonvergenz gerecht, indem er crossmedial denkt und medienneutral publiziert.

Nicht PR-Texte und Auftragsarbeiten schlecht bezahlter freier Journalisten werden die Schlacht um die Aufmerksamkeit moderner Zielgruppen gewinnen, sondern Geschichten mit Herzblut und Authentizität. Mut zum Dialog, echte News, erlebbare Nähe und fassbarer Nutzen, all das muss Content künftig leisten. Und erst wenn Verlage es schaffen, den Käufern ihrer Titel verständlich zu machen, dass sie nicht für Papier bezahlen, sondern für hochwertige, und personalisierbare Inhalte, haben sie eine Chance ihre Existenzgrundlage zu sichern. Auf dem Weg dorthin lässt sich allerdings kein Geld einsparen. Hier braucht es vielmehr entschlossene und zukunftsweisende Investitionen in festangestellte kreative Köpfe, Infrastruktur und Technik.

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