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Arme Journalisten sind keine Gefahr für die Demokratie

Über die Arbeitslosigkeit anderer jammern Journalisten nicht so sehr wie über ihre eigene. Aber gelingt ihnen auch mehr als das?

Am Tag nachdem die komplette, bis dato 120 Köpfe zählende Redaktion der „Westfälischen Rundschau“ erfahren hatte, dass sie entlassen und die Zeitung von nun an ohne Redaktion erscheinen würde, weigerte sie sich, Witze zu machen. „Aus gegebenem Anlass einfallslos“ stand an der Stelle, wo normalerweise eine lustige Glosse zum Tagesgeschehen steht. Und auch bei der Schwesterzeitung „WAZ“ wollte man nicht komisch sein und schrieb anstelle der täglichen Glosse, es sei der Redaktion „sehr komisch zumute“ angesichts der 120 gekündigten Kollegen.

An diesem Tag gab die Deutsche Telekom bekannt, dass sie 1200 Stellen in ihrer Verwaltung abbauen würde. Natürlich ist das keine große Nachricht und nur Teil einer größeren langfristigen Reduzierung der Mitarbeiterzahl. Überhaupt kein Grund, warum es kein Tag für Spaß sein sollte. Wenn eine Redaktion geschlossen wird, dann ist das nach Ansicht von Journalisten mindestens eine Gefahr für die Demokratie. Dabei könnte man genau das Gegenteil argumentieren: Eine Gefahr für die Demokratie in den letzten Jahrzehnten war, dass es Journalisten viel zu gut ging.

Geschenke oder Korruption?

Wahrscheinlich ist es das Normalste auf der Welt, dass Journalisten Nachrichten sehr viel ernster nehmen, wenn sie selbst von ihnen betroffen sind. Es ist menschlich. Journalisten nehmen sich nicht nur selbst so ernst, dass man den Eindruck könnte, sie glaubten die Ansprachen, die bei Preisverleihungen gehalten werden. Aber wenn heute schon ein guter Tag für Spaß ist: Die Diskrepanz zwischen den Maßstäben, die Journalisten an andere und sich sich selbst anlegen ist pure Realitätsverweigerung. Da ist es dann ein Skandal, wenn 120 Redaktionsmitarbeiter ihren Job verlieren, aber zehnmal so viele entlassene Telekom-Mitarbeiter sind nur der Lauf der Dinge. Da kann man tagelang darüber schreiben, dass der Bundespräsident sich möglicherweise ein Zimmer-Upgrade hat bezahlen lassen (was er nach dem neuesten Stand der Dinge nun offenbar doch nicht getan hat).

Gleichzeitig lassen sich Journalisten verschiedenster Ressorts zu Pressereisen einladen und halten alles unter fünf Sternen für schäbige Unterbringung. Es ist gesagt worden, Journalismus wäre für die Mittelschicht, was Boxen für die Unterschicht ist: ein Weg nach oben. Aber in Wahrheit war der Aufstieg meist nur eine Luftspiegelung, eine Fata Morgana: Weil Journalisten eingeladen sind, dabei zu sein, ist bei vielen von uns der Eindruck entstanden, wir gehörten dazu und der Lebensstil der regierenden Klassen wäre auch unserer. Um es klar zu sagen: Was viele Journalisten in ihrem Leben an weit über das für die Arbeit nötige an Geschenken entgegen- oder in Anspruch nehmen – zum Beispiel an Reisen, Eintrittskarten und Mahlzeiten -, wäre in jedem anderen Beruf Korruption.

Journalismus als Parallelgesellschaft

Heute, wo die Jobs wegbrechen, dämmert es uns, dass wir für das Leben, das wir führen, in Wahrheit zu arm sind. Bei den freien Journalisten hat die Entwicklung längst voll durchgeschlagen: Wer als Selbständiger für Tageszeitungen und Online-Dienste schreibt, der muss in der Regel entweder zwei oder drei Geschichten pro Tag verkaufen oder nebenbei PR-Texte schreiben, wenn er eine halbwegs bürgerliche Existenz führen will. Den angestellten Kollegen geht es in der Regel noch deutlich besser – bis sie entlassen oder in GmbHs ausgelagert werden, die unter Tarif bezahlen. Die Schere geht, wie überall in der Gesellschaft, auseinander.

Es gab Zeiten, da wurde die Volksnähe eines Politikers danach bewertet, wie genau er den Preis für ein Pfund Butter im Kopf hatte – eine Information, die wahrscheinlich kaum ein Chefredakteur auswendig parat hat. Aber die Journalisten selbst hatten nie den Eindruck, volksnah sein zu müssen. Im Gegenteil: Die volksnahen Schlagzeilen der Boulevard-Presse lesen Journalisten ironisch, und mit „dem Leser“ will ein Großteil der Informationshandwerker so wenig wie möglich zu tun haben. Das ist der Stand der Dinge, auch heute noch: Journalisten sind eine Parallelgesellschaft, ausgestattet mit besonderen Rechten und einem einzigartigen Erlebnisraum.

Aufstand in eigener Sache

Bisher ist der Journalismus in Deutschland im Zuge der Verlagskrise immer nur harmloser geworden: für aufwendige Recherchen fehlt Geld und Zeit, und selbst unaufwendige Recherchen werden unter Zeitdruck immer wieder durch das kopieren von Pressemitteilungen ersetzt. Die eine große Frage für den deutschen Journalismus ist also: Was passiert eigentlich, wenn wir Journalisten in der Realität aufschlagen? Wenn wir die Privilegien verloren haben und die Bedingungen endgültig untragbar geworden sind? Wird es dann einen Aufstand in eigener Sache geben?

In der Theorie kann es für den Journalismus gut sein. Nur als Beispiel: Wir sind uns seit Jahren und Jahrzehnten einig, dass Erzieher in Kindergärten zu wenig verdienen. Frühkindliche Bildung ist wichtig, also sollte man da bessere Bedingungen schaffen. Gebracht hat diese Diskussion gar nichts. Hundertprozentige Einigkeit bei allen, jahrelange Diskussion, null Ergebnis. Wenn man sich ansieht, mit welch anderen Maßstäben Journalisten über ihre eigenen Belange berichten, dann könnte man glauben, dass sie vielleicht als objektive Beobachter keinen überragend tollen Job machen, als kampagnenfähige Gruppe in eigener Sache aber schon. Für arme Erzieher kämpft man sicher nicht so, wie gegen die eigenen Einbußen. Die „WAZ“-Gruppe jedenfalls hat ihren kastrierten Redaktionen zur Entlassung jener kompletten Redaktionen erstmal einen Maulkorb verpasst. Arme Journalisten, so scheint es, sind endlich wieder solche, vor denen man zittern muss. Weil sie zwar immer noch Partei sind – aber diesmal auf der anderen Seite.


Dieser Artikel von Michalis Pantelouris ist ursprünglich in der Ausgabe 03/2013 des Politik- und Zeitgeist-Magazins „The Germans“ erschienen.

The Germans 03/2013 ©  width=

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